Kultur der Perfektion
Einfach perfekt – zwei Worte die sich widersprechen, denn perfekt ist nie einfach. Ein Randerlebnis in der Flensburger Fußgängerzone ließ mich vor den Weihnachtstagen über die Kultur der Perfektion nachdenken, die uns täglich von Plakatwänden, aus dem Werbefernsehen und sogar von Facebook-Seiten anstrahlt.
„Klickklack.“ – „ Klickklack.“ – Das Auslösegeräusch einer Handykamera neben mir machte mich neugierig. War es wieder so einer dieser lästigen Paparazzi oder nur ein interessierter Tourist? Natürlich nicht! Ein junges Mädchen stand neben mir und arbeitete konzentriert an einem perfekten Selfie. Dabei verzog ihren geschminkten Mund zur Andeutung eines Lächelns, zog sich noch flugs ein paar Strähnen von der Stirn, und dann war es wieder da, das „Klickklack, Klickklack“!
Mehrmals wiederholte sich diese Prozedur, der Weihnachtsmarkt in der Flensburger Fußgängerzone gab die perfekte Kulisse. Nach jeder Selfie-Serie wischte die junge Frau mit bangem Blick über das Display, bis sie sich für ein Bild entschied und es offenbar online verarbeitete. Ihr bemühtes Posieren für ihr perfektes Bild stellte einen künstlich erzeugten Moment dar, der natürlich wirken sollte. So wie die Make-Up-Industrie den absurden Trend entwickelt hat, sich „nude“ zu schminken. Schmink dich, so dass du aussiehst, als seist du gar nicht geschminkt. Ah ja. – Klar!
In der Adventszeit gab es viele Anlässe, perfekt sein zu wollen. Perfekte Geschenke aussuchen, ein perfektes Essen zubereiten, die Wohnung oder das Haus perfekt dekorieren, ein perfekter Gastgeber für den Weihnachtsbesuch sein zu wollen und am besten vorher noch mindestens ein paar Kilo abnehmen und über Silvester eine perfekte Kurzreise buchen, bevor die Weihnachtstage kommen. Das war ganz schön anstrengend!
Im Grunde weiß man, dass es absolut keinen Spaß macht, perfekt zu sein. Und wie viel größer ist die Enttäuschung, wenn die perfekte dumme Gans nicht knusprig wird, das Geschenk nicht die erhoffte Begeisterung hervorruft oder der Adventskranz am 2. Advent zu nadeln beginnt. Man postet den Weihnachtsbaum – aber nicht die frostigen Gesichter, als es beim Aussuchen in der Plantage zu Meinungsverschiedenheiten kam. Verständlich, aber so entwickeln wir die sozialen Medien zur Plattform der Perfektion. Alle denken, bei allen läuft‘s, nur bei mir nicht.
Man hätte im Advent ja mal eine Gegenkultur entwickeln können und dankbar sein, für all das was man hat. Mit dem Wissen, dass Perfektion nichts weiter ist als nur schöner Schein.
Schön sein, so wie man ist, das ist so viel besser als perfekt. Und in 11 Monaten ist es wieder soweit – dann machen wir alles besser und weniger perfekt.
von
Günter Schwarz – 27.12.2016