„Deutschis“, „Dänis“ und jetzt die „Nafris“
Deutschland und Dänemark sind, wie wir Grenzlanddeutschen und Grenzlanddänen nördlich und südlich der politischen Grenze beider Länder besonders verspüren, von Feinden zu Freunden geworden. Nun in der Zeit, in der oftmals gerade in konservativen Kreisen von Flüchtlingskrise gesprochen wird, sind wir gefordert, an neuen Freundschaften zu arbeiten – wie die Diskussion um „Nafris“ im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz in Köln in der Silvesternacht eindrücklich zeigt.
Zum zweiten Mal in Folge ist die Silvesternacht in Köln zu einem Politikum geworden. Wir erinnern uns: Beim Jahreswechsel von 2015 auf 2016 haben etwa 1000 überwiegend aus Nordafrika stammende Männer Frauen sexuell belästigt, manche wurden vergewaltigt. Menschen wurden massenhaft bestohlen und der Gottesdienst im Dom gestört. Diese Nacht markierte den Anfang der Debatte über Deutschlands Flüchtlingspolitik, die heute – wenige Wochen nach dem Anschlag von Berlin – wohl auf ihrem Höhepunkt ist.
In der vergangenen Silvesternacht geriet Köln nun erneut in die Schlagzeilen: Die Polizei kesselte mehrere Hundert Nordafrikaner ein und hinderte sie am Betreten der Kölner Domplatte. Die Beamten wollten verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt. Dann twitterte die Polizei NRW: „Am HBF werden derzeit mehrere Hundert Nafris überprüft. Infos folgen.“ Es folgte eine Welle der Empörung in den sozialen Netzwerken.
Darf man Menschen nordafrikanischer Herkunft pauschal als „Nafris“ (Kurzform für Nordafrikaner) bezeichnen – und verdächtigen? Ja, das sei nötig, sagen die einen. Die Polizei müsse genaue Täterprofile erstellen. Mit Rassismus habe das nichts zu tun. Nein, sagen die anderen: Kollektive Zuschreibungen widersprächen dem Geist eines Rechtsstaats, der im Grundgesetz festlegt, dass niemand wegen seiner Abstammung, Religion, Heimat und Herkunft diskriminiert werden darf.
Diese Debatte ist in den vergangenen Tagen intensiv geführt worden. Die Frage ist nun, wie es weitergeht. Hat der mentale und teilweise auch verbale Krieg um die verwendete Kurzform für Nordafrikaner, der hier ausgetragen wird eine Chance, befriedet zu werden?
Im Moment erfordert das viel Fantasie. Und doch gibt es Hoffnung. Jeder, der das deutsch-dänische Grenzland mit seiner Geschichte kennt, weiß, wie aus zwei Volksgruppen, die sich bekriegten, beste Partner werden können. Europaweit gilt die deutsch-dänische Grenzregion als Vorzeigemodell für gute Nachbarschaft zweier Nationen. Wer Muße hat, ausdauernd über den Sinn von zweisprachigen Ortsschildern zu diskutieren, der kann keine wirklichen ernsten Probleme haben.
Vor nicht allzu langer Zeit muss es wie ein Märchen geklungen haben: Dänen, deren Eltern oder Großeltern gegen die Deutschen gekämpft haben, nehmen an Deutschkursen teil; sie gehen auf den Flensburger Weihnachtsmarkt und verbringen Skiferien im Harz oder Deutsche, deren Väter in Dänemark einmarschiert sind, segeln durch die dänische Südsee und genießen ihren Badeurlaub an dänischen Stränden.
Nun, da Deutschland und Dänemark Freunde sind, heißt es, an neuen Freundschaften zu arbeiten. Dafür zu sorgen, dass die immer größer werdende Gruppe von Menschen, die heute die „Alternative für Deutschland“ (AfD) und ihr dänisches Pendant „Dansk Folkeparti“ (DF) wählen, in ein paar Jahrzehnten etwas peinlich berührt auf ihre damaligen Ängste und Vorurteile blicken. Vielleicht, weil ihre Tochter mit einem Syrer verheiratet ist, der in Aabenraa oder Niebüll seit Jahren erfolgreich einen Beachclub betreibt oder weil ihr Sohn eine schwarze Frau aus Ghana heimgeführt hat und die sich liebevoll um die in die Jahre gekommenen Schwiegereltern kümmert.
Spätestens dann werden sie und alle andere verstanden haben: „Nafris“ gibt es genau so wenig wie „Deutschis“ und „Dänis“ – es gibt bloß Menschen!
von
Günter Schwarz – 04.01.2017