Regierungschefs entschuldigen sich
Regierungschefs vieler Nationen mit Ausnahme der Türkei natürlich – dort wandert man noch heute in den „Knast“ für eine Entschuldigung an den Armeniern, den Völkermord an dem Volk während des ersten Weltkrieges als solchen zu bezeichnen – entschuldigen sich für Völkermord, Apartheid, Zwangsprostitution, Sklaverei, Holocaust und andere Verbrechen, die der Staat in seiner Geschichte begangen hat. Die Führer unserer Welt haben allerding auch genügend Gründe, sich im Namen der Völker, die sie vertreten, zu entschuldigen.
Unvergessen ist sicher der Kniefall des ehemaligen Bundeskanzlers Willy Brandt am 7. Dezember 1970 vor dem Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos bei seinem Staatsbesuch in Polen, der um die Welt ging. Diese spontan entstandene Demutsgeste im Rahmen der von Willy Brandt und seiner Regierung betriebenen Ostpolitik zeigte aller Welt, wie sehr ergriffen der damalige deutsche Regierungschef von den Verbrechen der Deutschen an den Juden sowie an den Polen und allen anderen europäischen und weiteren Völkern war, denen das deutsche Volk in der Vergangenheit so viel Leid gebracht hatte.
Der dänische Statsminister Lars Løkke Rasmussen brachte es dagegen nicht fertig, über seinen Schatten zu springen und das Wort „Entschuldigung“ über seine Lippen zu bekommen, als er in seiner diesjährigen Neujahrsansprache auch Dänemarks unrühmliche Geschichte der Sklaverei auf den Jungfrauen Inseln ansprach. Mit Mühe gelang es ihm, Dänemarks Beteiligung am Sklavenhandel und die Ausbeutung von Sklaven auf den Inseln Saint John und Saint Thomas und Saint Croix von 1665 bis 1848 einen Makel zu nennen. Einen nicht unbedeutenden Beitrag wurde auf den Inseln durch Sklavenarbeit im Zuckerrohranbau an Dänemarks Wohlstand beigetragen, der Grundstoff für die Herstellung von Rum war und der nicht zuletzt auch der Stadt Flensburg den Namen „Rum-Stadt“ einbrachte.

Statsminister Lars Løkke Rasmussen – Neujahrsansprache 2017
Hier sind einige Beispiele von „Länderchefs“, die das kleine Wort „Entschuldigung“, das für viele Menschen von großer Bedeutung ist, gesagt haben und damit mehr Größe als der dänische Statsminister Lars Løkke Rasmussen zeigten:
2016: Bundeskanzlerin Angela Merkel entschuldigte sich für die Tötung von bis zu 80.000 Menschen von 1904 bis 1908 in Namibia (Deutsch-Südwestafrika) an den Völkern der Hereros und Namas durch Kolonialtruppen des damaligen Deutschen Kaiserreiches. Der Kolonialkrieg, der von deutscher Seite durch Generalleutnant Lothar von Trotha grausam geführt wurde, wird als der erste Völkermord des Jahrhunderts betrachtet. Die ehemalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) entschuldigte sich bereits im Jahr 2004 für das gleiche.
2015: Premierminister Shinzo Abe äußerte im Namen Japans eine „aufrichtige Entschuldigung und tiefe Reue“ für die zwischen 50.000 und 200.000 koreanischen Frauen, die an der Front zur Prostitution für die japanischen Soldaten in den 1930er und 1940er Jahren gezwungen wurden.
2014: Papst Franziskus I. bat „demütig um Vergebung“ für priesterlichen sexuellen Missbrauch von Kindern.
2012: Norwegens damaliger Premierminister Jens Stoltenberg entschuldigte sich für die norwegische Polizei, die sich aktiv an der Deportation der norwegischen Juden im Zweiten Weltkrieg beteiligt hatte.
2009: Der US-Kongress entschuldigte sich für 250 Jahre Sklaverei und für die nachfolgenden 100 Jahren Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung.
2009: Der damalige britische Premierminister Gordon Brown entschuldigte sich posthum bei dem Mathematiker Alan Turing, der den Nazi-Chiffrierung Code zu knacken geholfen hatte und der später wegen einer homosexuellen Beziehung verhaftet wurde. Zudem wurde er gezwungen, mit Injektionen von Östrogen „therapiert“ zu werden.
2008: Kevin Rudd entschuldigte sich als australischer Premierminister bei den Ureinwohnern des Kontinents, den Aborigines, für die australischen Behörden, die den australischen Ureinwohnern schätzungsweise mehr als 100.000 Kinder entzogen und diese zu australischen Bürgern „umerzogen“ haben.
2008: Kanadas einstiger Premierminister Stephen Harper entschuldigte sich für mehr als 150.000 Aborigine-Kinder, die seit 1870er Jahren rund 100 Jahre in christliche Internate nach Kanada verbracht worden waren, wo sie nicht nur bleiben mussten, sondern viele von ihnen auch zu Opfern von Gewalt und sexuellem Missbrauch wurden.
2006: Das norwegische „Storting“ (Parlament), die Regierung und König Harald entschuldigten sich im Namen von Norwegen für die Misshandlungen, denen Pflegekinder in Internaten ausgesetzt waren.
2005: Der vormalige Statsminister Anders Fogh Rasmussen (Venstre / sozialliberale Partei) entschuldigte sich zur Mahnung an die „dänischen Behörden, die in einigen Fällen dazu beigetragen haben“, Menschen während der deutschen Besatzung in Konzentrationslager verbracht zu haben.
2005: Japans Premierminister Junichiro Koizumi brachte eine „aufrichtige Entschuldigung“ für das Leid zum Ausdruck, das das japanische Volk durch Kolonialherrschaft und Aggression im Zweiten Weltkrieg über andere Völker gebracht hat.
2004: Argentiniens damaliger Präsident, Néstor Kirchner, entschuldigte sich offiziell für das Schweigen der Regierung über den „schmutzigen Krieg“ von 1976 bis 1983, in dem die argentinische Armee gefoltert und gemordet hat, und sich Tausende von Menschen gefordert sahen, innerhalb des Landes zu verschwinden und sogar ins Exil zu gehen.
2004: Großbritanniens Premierminister Tony Blair entschuldigte sich dafür, dass britische Soldaten Gefangene im Irak misshandelt haben.
2000: Deutschland entschuldigte sich in der Person des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau vor dem israelischen Parlament, der Knesset, für den Holocaust, und er übernahm im Namen Deutschlands auch die Verantwortung dafür und für deutsche Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges.
1999: Der damalige dänische Statsminister Poul Nyrup Rasmussen (Sozialdemokraten) entschuldigte sich für Zwangsumsiedlung der Thule-Bevölkerung, wo seit 1953 eine US-Airbase in Grønland errichtet wurde.
1996: Der letzte Präsident der Apartheid-Ära in Südafrika, Frederik Willem de Klerk, entschuldigte sich für 46 Jahre der Unterdrückung und Diskriminierung der farbigen Bevölkerung des Landes.
1988: Der damalige US-Präsident Ronald Reagan unterzeichnete Gesetze, die Entschädigungen und eine formale Entschuldigung an die mehr als 100.000 Japaner-Amerikaner beinhalteten, die in den Kriegsjahren von 1942 bis 1945 in den USA interniert wurden.
Mit dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt und seinem Kniefall bei seinem Besuch an der Ghetto-Gedenkstätte in Warschau begannen viele Politiker, über die Geschichte ihrer Länder nachzudenken und auch die gemachten Fehler anders zu sehen und zu bewerten, was so manchen veranlasste, sich für Fehler der eigenen Nation bei den Geschädigten beiziehungsweise deren Nachfahren für erfahrenes Unrecht zu entschuldigen.
Auch Lars Løkke Rasmussen hätte es gut angestanden, diesbezüglich etwas mehr Größe zu zeigen – aber wer weiß, er mag ja noch wachsen an seinen Aufgaben.
von
Günter Schwarz – 06.01.2017