(London) – Das höchste britische Gericht will heute seine Entscheidung im „Brexit“-Prozess verkünden. Dabei geht es um die Frage, ob die britische Premierministerin May die Zustimmung des Parlaments braucht, um die Brexit-Verhandlungen mit Brüssel zu beginnen? Der Supreme Court war im Dezember tief in die britische Rechtsgeschichte eingestiegen, wobei die besten Juristen des Landes vier Tage lang über historische Fälle stritten.

In einem Land, in dem es keine geschriebene Verfassung gibtt, sind eben historische Beispielfälle entscheidend dafür, was eine Regierung tun darf, ohne sich vom Parlament reinreden zu lassen. Und darum geht es bei dem Urteil des Höchsten Gerichts, wie der Vorsitzende Richter Lord Neuberger am Ende der Anhörung erklärte: „Es muss noch einmal wiederholt werden, dass wir nicht aufgefordert worden sind, das Ergebnis des EU-Referendums zu kippen. Es geht vielmehr darum, wie das Ergebnis des Referendums rechtmäßig umgesetzt wird. Wir werden uns Zeit nehmen, über die vielen Argumente aus dieser Anhörung angemessen zu beraten. Wir werden uns aber bemühen, das Urteil so schnell wie möglich zu fällen.“

„Brexit“-Befürworter fürchten, dass ein Mitspracherecht des Parlaments den Zeitplan für die Trennung von der EU durcheinanderbringen und Inhalte verwässern könnte. Denn die Parlamentarier gelten als überwiegend EU-freundlich. Premierministerin Theresa May will die Austrittserklärung bis Ende März nach Brüssel schicken.

Früheres Urteil sah Mitspracherecht vor

Ein früheres Urteil sprach den Parlamentariern ein Mitspracherecht zu. May ist aber der Meinung, dass die Austrittserklärung ohne Abstimmung im Parlament möglich ist, und hatte das Urteil angefochten. Elf Richter des Supreme Court müssen nun entscheiden – nie zuvor haben sich so viele Richter dort mit einem einzigen Fall befasst.

Nach allem, was vor der Verkündung des Urteils zu hören ist, wird das Höchste Gericht der Bürgerin Miller Recht geben. Die Regierung stellt sich auf eine Niederlage heute ein und hat bereits den Entwurf für eine Brexit-Entscheidung des Parlaments in der Schublade, um ihn womöglich noch in dieser Woche ins Unterhaus einzubringen.

Unlängst verkündete May in einer Grundsatzrede einen harten „Brexit“, also den Austritt aus der EU und aus dem europäischen Binnenmarkt. Die Briten hatten sich im vergangenen Jahr in einer historischen Volksabstimmung mit einer knappen Mehrheit für einen Austritt aus der EU ausgesprochen.

Keine Hoffnung für EU-Fans

Hoffnungen der EU-Freunde, dass das Parlament den Brexit vielleicht noch stoppen könnte, werden sich aber wohl nicht erfüllen: Die Mehrheit der Abgeordneten war zwar vor dem Referendum für den Verbleib des Landes in der Europäischen Union, wagt aber jetzt nicht, sich über das Votum der Bürger hinwegzusetzen.

So werden die regierenden Konservativen fast geschlossen grünes Licht für die Austrittsverhandlungen in Brüssel geben. Und auch Labour-Chef Jeremy Corbyn, der Führer der größten Oppositionspartei, macht Druck auf die Mitglieder seiner Fraktion, den Weg für den Austritt frei zu machen.

Premierministerin will harten Brexit

Allenfalls könnten die Abgeordneten versuchen, die Premierministerin ein bisschen zu zügeln. Denn die verkündete in der vergangenen Woche einen harten Brexit: „Was ich vorschlage, ist nicht die Mitgliedschaft im Europäischen Binnenmarkt. Keine Teil-Mitgliedschaft in der EU. Keine Assoziierung oder irgendetwas anderes, das uns Halb drinnen und halb draußen ließe. Wenn wir rausgehen, wollen wir uns nicht an Stückchen der Mitgliedschaft klammern.“

Viele Abgeordnete wollen so weit nicht gehen. Sie meinen, dass es dem Land besser gehen würde, wenn die Briten im Europäischen Binnenmarkt blieben. Es hängt jetzt von den Details des Richterspruchs ab, ob das Parlament in London der Premierministerin solche inhaltlichen Anweisungen für die Brexit-Verhandlungen mit auf den Weg nach Brüssel geben kann. Und ob die Regionalparlamente in Schottland, Wales und Nordirland ein Wörtchen mitreden dürfen.

von

Günter Schwarz – 24.01.2017