Die Eröffnung der Elbphilharmonie in Hamburg wurde nicht nur bejubelt. Während Medien und Betreiber den millionenschweren Bau als neues Wahrzeichen und Kulturmittelpunkt feiern, fehlt weiten Teilen der Bevölkerung dieser Enthusiasmus. Die Belastung für den Steuerzahler sei zu hoch – ein neuer „Bonzen-Tempel“ für „die da Oben“.

Viele staatliche Theater und Konzerthallen sind mit diesem Fluch behaftet. Ein Umstand, welcher sich im ganzen Land nachhaltig auf die Wirtschaftlichkeit von Spielstätten auswirkt und letztlich dazu führt, dass vielen Theatern die Schließung droht.


Foto: Dina Gelmann bei den Proben des Puschkin-Ensembles

»Dabei ist es nicht so, dass die Menschen kein Interesse an Theater haben. Es ist vielmehr so, dass sie eine Barriere haben, ein Theater zu besuchen – weil sie das Gefühl haben, das Theater sei nicht für sie gemacht.«

, sagt Dina Gelmann, Dramaturgin Puschkin-Ensemble, Hamburg.

Olga Gronchar, Intendantin des Ensembles, bestätigt diese Meinung:

»Die Theater haben diese Entwicklung natürlich bemerkt und bemühen sich gegenzusteuern. Nun reicht es nicht, Theaterpädagogen an die Schulen zu schicken oder Inklusionstheater anzubieten; wobei die Hälfte der Bevölkerung noch nicht einmal weiß, was Inklusion überhaupt ist. Kultur geschieht immer an der Basis. Wenn wir hier nachts um 4 Uhr, völlig übernächtigt, Kostüme nähen und dann komplett erschöpft aber stolz auf der Bühne stehen, dann überträgt sich das auf die Zuschauer. Wir bekommen kein Geld oder Zuschüsse aus einem öffentlichen Topf. Wir spielen in einer alten Lagerhalle. Hier hat der Zuschauer das Gefühl, ein Teil des Theaters zu sein – selbst, wenn wir dann auch mit sehr anspruchsvollen Stücken kommen.«

Dass auch kleine Theater einen sehr hohen künstlerischen Anspruch haben können, beweist nicht nur das russische Puschkin-Ensemble in Hamburg, sondern auch das polnische Theater in Kiel. Unter der Leitung von Tadeusz Galia erlebt man im polnischen Theater Stücke wie »Emigranten« (Slawomir Mrozek) oder Lot Vekemans »Judas«; Stücke also, die mehr zum Nachdenken und Diskutieren anregen, als der reinen Unterhaltung dienen. Auch Olga Grochar setzt bei der Auswahl ihrer Stücke auf klassische Literatur. Im Moment laufen die Proben für »Pique Dame«, nach einer Erzählung von Alexander Puschkin. Die Premiere, am 25. Februar, ist schon jetzt komplett ausverkauft.

»Man kann dieses Theater-Phänomen leicht mit Malerei vergleichen. Natürlich werden die Namen großer Künstler viele Menschen in eine Ausstellung locken, die dann dort ehrfürchtig und zurückhaltend die Werke betrachten. Die Leute werden allerdings Kunst ganz anders erleben und begreifen, wenn sie z. B. auf der Vernisage eines unbekannteren Künstlers mit eben diesem Künstler selbst reden können. Dabei erfragen, wie es zu diesem oder jenem Werk gekommen ist.«

, betont Olga Gronchar.

Das Puschkin-Ensemble und auch das polnische Theater legen sehr viel Wert auf diesen persönlichen Kontakt. So ist es in beiden Häusern Tradition, dass jeweils nach der Premiere im Foyer gemeinsam gegessen und getrunken wird. Dabei haben die Zuschauer auch die Gelegenheit mit den Darstellern selbst zu sprechen. Bei diesen Premierenfeiern kommt schnell eine sehr familiäre Atmosphäre auf. Natürlich haben große Häuser nicht die Möglichkeiten, 1.000 Zuschauer kostenlos zu bewirten; zu einer kostenlosen Zusammenkunft von Schauspielern oder Tänzern mit den Zuschauern kommt es aber auch nicht. Dadurch distanziert sich Kultur von Zuschauer. Der Zuschauer wird zu einem passiven Gast.

Vielerorts hört man Intendanten und Kulturschaffende lamentieren, die Kultur würde aussterben. Olga Gronchar ist davon überzeugt, dass dies überhaupt nicht der Fall ist. Vielmehr hätten sich Theater selbst von der Kultur abgekoppelt:

»Es ist doch so, dass Kultur immer aus der Mitte der Bevölkerung kommt. Und genau dort ist sie auch heute. Früher gab es keinen Rundfunk, Fernsehen oder Internet. Also gingen die Menschen ins Theater. Das waren damals Orte, an denen gejohlt, gesoffen und gelacht wurde. Operetten sind quasi die Sitcoms früherer Zeit. Und glauben Sie nicht, dass die Zuschauer damals so gesittet und ehrfürchtig auf den Stühlen saßen, wie man es heute im Theater von ihnen erwartet. Und ebenso funktioniert Kultur doch auch heute noch. Nehmen Sie ein Straßenfest, eine Vernisage oder Werkschau. Da wird gemeinsam gelacht, diskutiert und gefeiert. Das ist Kultur. Wenn ich den Zuschauer an die Hand nehme, kann ich mit einem Lustspiel kommen, ebenso wie mit ernstem Literaturtheater. Wichtig ist, dass der Zuschauer sich nie allein gelassen fühlt. In dem Moment wird dann „ein Theater“ zu seinem Theater. Und für dieses Theater braucht es keinen Prunkbau – es reicht eine Werkhalle oder die grüne Wiese. Darum geht es.«

von
Michael Schwarz & Olga Gronchar, 27.01.2017

Hinweis: Hinweise auf Aufführungen des Puschkin-Ensembles, sowie des polnischen Theaters, werden wir in der Rubrik „Kultur“ regelmäßig veröffentlichen. Eine kleine Rezension und Termine zu dem aktuellen Stück »Emigranten« des polnischen Theaters finden Sie schon jetzt in dem Artikel: »Emigranten« von Sławomir Mrożek im Polnischen Theater Kiel