(Budapest) – Nur wenige Monate nach dem Besuch des ungarischen Premiers Viktor Orbán in Moskau besucht der russische Präsident Wladimir Putin Ungarn. Der ungarische Journalist Balazs Csekö, der Ptutins Besuch in Ungarn begleitet verriet, Ungarn könnte entgegen dem EU-Beschluss „seine Sanktionen gegen Russland nicht mehr verlängern“.

Der russische Präsident besucht Budapest nur ein Jahr, nachdem der ungarische Präsident nach Moskau gereist war, um die bilateralen Beziehungen wieder aufzufrischen. Diese Reise hatte bereits gegen breite Widerstände in der EU stattgefunden. Beide Staatsoberhäupter wollen nun in Ungarn unter anderem die Ausweitung lukrativer Wirtschaftsverträge diskutieren.

Mit dem Besuch in der ungarischen Hauptstadt setzt Präsident Putin ein deutliches Zeichen gegen das bestehende Sanktionsregime der Europäischen Union. Zudem erfolgte die Visite im Schatten einer seit dem Kalten Krieg beispiellosen Truppenstationierung der NATO nahe den russischen Grenzen. Die geopolitische Lage ist nach Ansicht des ungarischen Außenminister Peter Szijjarto mittlerweile jedoch günstiger als noch während Putins vorhergehendem Arbeitsbesuch in dem EU-Mitgliedsland 2015.

Der erste Staatsbesuch des russischen Staatsoberhauptes im Jahr 2017 soll unter anderem den Ausbau vielversprechender bilateraler Abkommen mit der ungarischen Regierung ermöglichen. Deren schlossen die Spitzenpolitiker beider Länder bereits im Februar 2016 beim Besuch Premierminister Orbáns in Moskau zahlreiche ab. Es wird erwartet, dass sich Putin und Orbán dabei vor allem auf Wirtschafts- und Handelsprojekte fokussieren werden, schrieb der Kreml in einer amtlichen Mitteilung.

Der freie ungarische Journalist Balazs Csekö, der in Wien lebt, kommentiert die politische Tragweite des Besuchs Putins in Budapest folgendermaßen:„Das ist eine einzigartige Entwicklung. Seit den Sanktionen gegen Russland ist Putin in den meisten EU-Staaten nicht mehr gerne gesehen. Er ist auch nicht mehr willkommen. Vergangenes Jahr besuchte Putin Europa nur vereinzelt, allen voran einige Staaten in Mittel- und Osteuropa. Darunter Österreich, Slowenien und Griechenland. In dieser Region wird Putin auch anders betrachtet als in Westeuropa. Er wird vor allem auch in Ungarn einfach anders bewertet. Budapest ist derzeit wahrscheinlich Russlands treuester Partner in der EU. Das ist bereits das dritte Aufeinandertreffen von Putin und Orban innerhalb von zwei Jahren.“

Dem Journalisten zufolge hat Ungarns Premierminister in Russland einen starken regionalen Partner ausgemacht, wozu sich Csekö wie folgt äußerte: „Orbán will damit ganz klar zeigen, dass er ein Politiker ist, der von zumindest einigen Partnern auf der internationalen und Weltbühne gerne gesehen wird. Dazu muss gesagt werden, dass Orbán seit langer Zeit kaum Staatsbesuche von westlichen Partnern erhalten hat. Die ungarische Regierung sieht die derzeitige geopolitische Lage wieder als günstig an, um international sichtbar zu werden.“

Csekö, der sich gegenwärtig in Budapest aufhält, berichtet, dass auch die ungarische Bevölkerung den Staatsbesuch aus Russland weitestgehend begrüßt. Er sagte: „Es gibt einige kleinere Parteien, die gegen das Treffen protestieren. Vonseiten der größeren Parteien gab es kaum Proteste. Die Opposition ist in dieser Frage zerstritten und zersplittert, auch wenn die meisten Oppositionellen den Besuch kritisch betrachten. In Regierungskreisen wird Putins Anwesenheit in Budapest als Chance wahrgenommen. Aber man ist sich nicht einig, wie weit diese Annäherung gehen soll. Die Regierung jedenfalls sieht in Putin und Trump Garanten für die Möglichkeit einer positiven internationalen Partnerschaft.“

„Putin und Orbán werden sich auch über eine Kooperation mit Blick auf die russischen Erdgaspipelines Nord Stream und Turkish Stream austauschen“, sagte der russische Präsidentenberater Juri Uschakow am Mittwoch gegenüber Reportern.

Über 85 Prozent des in Ungarn verbrauchten Erdgases kommt aus der Russischen Föderation. Erst 2015 hatten Putin und Orban eine neue Erdgasvereinbarung für die nächsten 20 Jahre unterzeichnet. Demnach zahlt Ungarn nur noch für Erdgas, das es tatsächlich verbraucht, was sich vor allem für Kunden mit niedrigem Verbrauch als sehr lukrativ erwies.

Ein weiterer Schwerpunkt, dem sich die Spitzenpolitiker im Zuge des Besuchs widmen werden, ist der Ausbau des Kernkraftwerks in Paks. Russland und Ungarn unterzeichneten im Januar 2014 eine Vereinbarung über den Bau von zwei zusätzlichen Reaktoren. Achtzig Prozent der Projektkosten werden durch eine Kreditlinie von zehn Milliarden Euro aus Russland unterstützt und die Arbeiten werden unter der Aufsicht von russischen Atomwissenschaftlern durchgeführt. Budapest wartet derzeit auf die Genehmigung des Projekts vonseiten der EU-Bürokratie in Brüssel, die das Projekt bisher boykottiert hat.

Der ungarische Ministerpräsident wird wegen seiner Ansichten zu wichtigen Fragen innerhalb der EU als „Schwarzes Schaf“ der europäischen Politik eingestuft. Seiner Zustimmung in Ungarn selbst tut das kaum Abbruch.

Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, begrüßte Orbán im Jahr 2015 auf dem Gipfeltreffen der östlichen Partnerschaft öffentlich als „Diktator“. Der republikanische US-Senator John McCain ging so weit und nannte den ungarischen Premierminister 2014 einen „neofaschistischen Diktator“. Orbán seinerseits beharrt darauf, dass er lediglich das anstrebt, was gut für sein Land ist. Er wolle „kein Vize-König in einem Ungarn sein, das von fremden Staaten beherrscht wird“.

Budapest schloss sich während der Ukraine-Krise zwar den Sanktionsmaßnahmen der Europäischen Union an. Die ungarische Regierung kritisiert die Europäische Union seitdem aber auch für ihre anhaltend anti-russische Haltung.

Auf die Frage hin, welche Signale Ungarns Premierminister mit Blick auf das europäische Sanktionsregime mit seiner Initiative an die internationale Gemeinschaft sendet, erklärte Csekö: „Diese Visite signalisiert, dass in der Europäischen Union nicht jeder mit den Sanktionen gegen Russland einverstanden ist. Die ungarische Regierung bezeugt regelmäßig, dass die heimische Wirtschaft wegen der Sanktionen zu großen Schaden nimmt, auch wenn sie das ein Stück weit übertreibt.“

Nur wenige Tage vor dem Besuch Putins wiederholte auch der ungarische Außenminister seine Position. „Ungarns Position mit Blick auf die anti-russischen Sanktionen ist, dass sie nutzlos sind“, sagte Peter Szijjarto gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Bereits 2014 hatte Orbán kommentiert, dass sich Europa mit der Sanktionspolitik „selbst ins Bein schoss“, weil diese „uns mehr schadet als Russland“. Der ungarische Außenminister sagte in diesem Zusammenhang gegenüber der russischen Tageszeitung Kommersant: „Nach unseren Schätzungen beläuft sich unser Gewinnentgang auf 6,5 Miliarden US-Dollar in drei Jahren. Wir sprechen hier über Exporte. Angesichts der Tatsache, dass ungarische Exporte im Jahr auf 90 Milliarden US-Dollar kommen, ist das eine heftiger Schlag.“

Der freie Journalist Csekö vermutet, dass der Besuch Putins eine Kehrtwende in der Haltung Ungarns gegenüber den EU-Sanktionen einleiten könnte. Er erklärte: „Es könnte sein, dass sich die Position der ungarischen Regierung während der Gespräche in die Richtung entwickelt, die Sanktionen gegen Russland nicht mehr verlängern zu wollen. Konkret könnte sie bei der nächsten Abstimmung auf EU-Ebene damit aufhören, weiter grünes Licht für Sanktionen zu geben. Das könnte auch deshalb passieren, weil Donald Trump jetzt Präsident in den USA geworden ist.“

von     

Günter Schwarz – 03.02.2017