(Warschau) – Kanzlerin Angela Merkel hat sich gegen den Wunsch der nationalistischen polnischen Regierung zu einem Rückbau der EU ausgesprochen. Bei einem Besuch in Warschau warnte sie heute vor Vertragsänderungen, für die sich die nationalkonservative Regierung ausgesprochen hat.

Kritik unter Nachbarn ist eine heikle Sache. Kanzlerin Merkel wählt bei ihrem Besuch in Warschau den Weg über die Historie. „Ich kann mir im Augenblick auch nicht vorstellen, dass man eine realistische Möglichkeit hat, hier irgendwelche Dinge zurückzudrehen“, sagte Merkel zu den Wünschen, die EU auf die Themen Binnenmarkt, Umwelt und Verteidigung zu konzentrieren. Im Streit über die innenpolitischen Reformen in Polen erinnerte sie Ministerpräsidentin Szydlo an die nicht allzu lange zurückliegende Zeit, in der Solidarnosc in Polen Freiheitsrechte erkämpfen musste und wie wichtig beim Sturz des Kommunismus freie Medien und eine freie Justiz gewesen seien.

„Solidarnosc hat auch mein Leben geprägt und ohne die Solidarnosc wäre vielleicht weder die europäische Einigung und das Ende des Kalten Krieges so schnell gekommen noch die deutsche Einheit“, sagte Merkel mit Blick auf die polnische Gewerkschaft, die zur politischen Wende 1989 beigetragen hatte. „Aus dieser Zeit wissen wir, wie wichtig plurale Gesellschaften sind, wie wichtig eine unabhängige Justiz und Medien sind, denn das hat alles damals gefehlt.“

Fülle gemeinsamer Positionen betont

Merkel traf am Abend den Chef der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, sowie Oppositionsvertreter. Bei den Gesprächen in Warschau wollte sie wie schon in Belgien, Luxemburg, Malta und Schweden sondieren, wie die 27 EU-Regierungen die Union nach dem Austritt Großbritanniens weiterentwickeln wollen. Kaczynski hatte in einem Interview für eine Begrenzung der EU-Kompetenzen geworben und einen zu starken Einfluss Deutschlands kritisiert. Ministerpräsidentin Beata Szydlo und Merkel betonten auf einer gemeinsamen Pressekonferenz aber die Fülle gemeinsamer Positionen wie eine engere Zusammenarbeit in der Verteidigungspolitik.

Szydlo forderte, es müsse „Veränderungen in der EU“ geben. „Brexit ist ein Faktum“, sagte die polnische Regierungschefin mit Blick auf die britische Entscheidung zum EU-Austritt. Die EU müsse sich entwickeln, „aber bei voller Bewahrung der autonomen Rechte der Mitglieder“. Gleichzeitig betonte Szydlo, die Schlussfolgerung aus der „Brexit“-Entscheidung sei eine Stärkung der Nationalstaaten. Merkel wies dagegen die Forderung Szydlos zurück, den nationalen Parlamenten eine Art Veto-Recht gegen EU-Beschlüsse einzuräumen, die im Chaos enden könne.

Ende März will die EU bei den Feiern zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge eine Perspektive für die kommenden zehn Jahre vorstellen. „Die Binnenmarktdefinition ist umfassender als nur freier Warenverkehr und Umwelt“, wies Merkel Vorstellungen einer schlankeren EU zurück.

von

Günter Schwarz – 07.02.2017