(København) – In Dänemark ist vieles anders als im „Rest der Welt“ – und wie anders esa ist demonstrieren in aller Öffentlichkeit die dänischen Sozialdemokraten oder die Socialdemokraterne, wie sie dort offiziell heißen, Sie haben keine Hemmungen, mit den Rechtspopulisten der Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei) auf „Kuschelkurs“ zu gehen. Die Parteichefs haben in einem gemeinsamen Interview erstmals öffentlich über eine mögliche Koalition spekuliert.

Damit könnten alte Bündnisse ins Wanken geraten und neue politische Allianzen entstehen, sagt Ex-Verteidigungsminister (!982 – 1987) Hans Engell der Konservativen Folkepartei unter Statsminister Poul Schlüter.

„Kristian und ich arbeiten vielfach auf die gleiche Weise“, sagt die Vorsitzende der Socialdemokraterne, Mette Frederiksen, in einem Interview mit dem Gewerkschaftsblatt „Fagbladet 3F“. Gemeint ist der Vorsitzende der Dansk Folkeparti (DF), Kristian Thulesen Dahl. „Wenn es ein Problem gibt, das gelöst werden soll, sorgen wir dafür, eine ordentliche Antwort zu finden.“

Eine eigentlich banale Aussage, der dennoch historisches Ausmaß zukommen könnte, wenn wahr wird, was im Verlauf des Interviews angedeutet wird – nämlich, dass die beiden zahlenmäßig stärksten Fraktionen im Folketing irgendwann gemeinsam regieren. Bis zum Antritt Frederiksens als Parteichefin 2015 schien dies undenkbar. Und auch Frederiksen selbst, die vormals im linken Parteiflügel beheimatet war, konnte bis dahin nicht als Freundin der Rechtspopulisten bezeichnet werden.

Frederiksen hat die Sozialdemokraten umgekrempelt

Doch seit sie die Socialdemokraterne führt, hat die Partei sich gewandelt. Frederiksen, unterstützt von Lautsprechern wie Henrik Sass Larsen oder Trine Bramsen, hat die Partei umgekrempelt. In Fragen der inneren Sicherheit oder der in Dänemark noch immer über die Maßen problematisierten Einwanderung, wird nicht mehr wie früher auf Besonnenheit und Toleranz gesetzt. Dies, so offenbar die Einschätzung Frederiksens, habe die (potenziellen) Wähler nur verunsichert. Stattdessen werden „ordentliche Antworten“ gegeben – sprich: Leicht verständliche, nachvollziehbare, kritisch könnte man sagen: zu einfache Antworten und typisch für rechtspopulistisches Politikverständnis.

Ein Beispiel hierfür sind die Grenzkontrollen. Waren die Socialdemokraterne früher strikte Gegner einer aus ihrer damaligen Sicht symbolpolitischen Verschwendung von Polizeiarbeitsstunden an den Grenzen, weigern sich Frederiksen und ihr Gefolge heute, die differenzierte Sichtweise von damals weiter zu vertreten. Stattdessen „spielt“ Frederiksen die starke Frau. 

Die Umfrageergebnisse seit Antritt Frederiksens geben ihr Recht. Die Socialdemokraterne sind mit ihr auch wieder für jene wählbar, die einfache Antworten mögen, für jene, denen die verächtlich „Gucci-Helle“ genannte Helle Thorning-Schmidt zu abgehoben, zu europäisch, zu kultiviert war. Für jene, die meinen, dass früher alles irgendwie besser war.

Flirt setzt den Regierungschef unter Druck

„Ich freue mich über die Zusammenarbeit und was die Zukunft bringt, wird die Zukunft zeigen“, sagt Frederiksen vielsagend über die Dansk Folkeparti, während Kristian Thulesen Dahl feststellt, dass es keineswegs in Stein gemeißelt sei, dass seine Partei auf alle Zeit einen Venstre-Regierungschef stützen wird.

Das liest sich für den Unbedarften vielleicht nicht gerade wie eine Liebeserklärung. Doch wer die Geschichte der beiden Parteien (und der Ideologien, die sie vertreten) kennt, darf sich wundern. Was historisch interessant ist, hat ganz konkrete Auswirkungen auf die Machtbalance im politischen Zentrum Dänemarks, auf Schloss Christiansborg, welches das Folketing beherbergt.

Dort herrscht seit Jahrzehnten Lagerpolitik. In der Praxis bedeutet dies, dass der „blaue Block“ des Folketings für den Spitzenkandidaten der rechtsliberalen Venstre stimmt, während die Abgeordneten des „roten Blocks“ den Kandidaten der Socialdemokraterne unterstützten.

Doch diese Blöcke sind nun also offenbar in Bewegung geraten. Erst kürzlich wurden Zahlen öffentlich, nach denen die Socialdemokraterne zuletzt weit häufiger mit den blauen Parteien stimmten als mit den roten – und die nationalkonservative Dans Folkeparti, die fast schon traditionell (seit 2001) den blauen Regierungschefs die parlamentarische Mehrheit besorgt, sieht sich inzwischen in einigen Fragen – vor allem in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik – näher bei den Socialdemokraterne als bei den wirtschaftsliberalen Regierungsparteien.

Hans Engell: Ein Signal an Lars Løkke Rasmussen

Für den ehemaligen konservativen Minister und heutigen Kommentator Hans Engell ist das Gebaren der beiden Parteien ein klares Signal an Regierungschef Lars Løkke Rasmussen (Venstre). Die Dansk Folkeparti, seit jeher in einer starken Verhandlungsposition als Mehrheitsbeschafferin, kann die Regierung mit dem Flirt mit dem politischen Erzfeind Venstre so richtig unter Druck setzen. Und die Socialdemokraterne, sagt Engell, emanzipierten sich zugleich von der Abhängigkeit von der Enhedslisten (rot-grünen Einheitslist Einheitsliste) und den Alternativet (grüne Partei).

Kurswechsel bei den Socialdemokraterne, Stilwechsel bei der Dansk Folkeparti

Durch den Kurswechsel Frederiksens stehen sich Socialdemokratern eund Dansk Folkeparti politisch deutlich näher als früher, ohne dass die Dansk Folkeparti eingelenkt hätte. Allerdings hat Thulesens deutlich moderatere Tonart, verglichen mit dem aufgeregten Habitus seiner Vorgängerin Pia Kjærsgaard, die Annäherung erleichtert.

Es gibt dabei zwar noch immer entscheidende programmatische Unterschiede. So steht der von Dansk Folkeparti propagierte Kulturnationalismus im krassen Widerspruch zur sozialdemokratischen Tradition der Solidarität über Grenzen hinweg und dem Einsatz für Menschenrechte und Minderheiten. Doch mit einer Vorsitzenden, die diese Traditionen zum Teil auf dem Altar der Machtoptionen opfert, ist eine Koalition der beiden Parteien in den Bereich des Möglichen gerückt.

S-DF-Regierung wäre eine Herausforderung für grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Was das für Dänemark für Folgen hätte, liegt naturgemäß größtenteils im Bereich des Spekulativen. Für die Freunde der europäischen Freizügigkeit, und sei es nur die in unserem Grenzland, für die Vorkämpfer für die Akzeptanz und Wertschätzung von Vielfalt und Offenheit und für die Kritiker des Protektionismus wäre eine S-DF-Regierung sicherlich ein Albtraum.

Denn, das macht Frederiksen seit Beginn ihrer Zeit als Vorsitzende immer wieder deutlich: Für sie und die „neuen“ Socialdemokraterne zählt vor allem der Zusammenhalt der dänischen Gesellschaft. Und dieser ist in der Auslegung Frederiksens nicht nur durch soziale Ungerechtigkeit bedroht – sondern auch durch außen und durch kulturelle Unterschiede. Anders als es früher sozialdemokratische Politik war, ist es Frederiksens einfache Antwort, diese Unterschiede zum Beispiel durch die Verhinderung von Einwanderung statt durch Stärkung der Integration aufzulösen.

Noch ist die Sozialdemokratie nicht so weit. Doch von einem Aufstand gegen Frederiksens Linie ist auch an der Parteibasis nichts zu spüren. Recht hat, wer Erfolg hat. Und derzeit hat Erfolg, wer rechts ist – leider!.

von

Günter Schwarz – 15.02.2017