(Zwickau/ Ærø) – Vom Oberbürgermeister einer sächsischen Großstadt zum Wäschefahrer auf einer kleinen dänischen Insel – was sich zunächst nach beruflichen Bruchlandung von der Karriereleiter anhört, ist im Gegenteil ein riesiger Gewinn an positivem Lebensgefühl.

Denn Dietmar Vettermann (59) schwärmt von seinem Glück und fühlt sich absolut wohl. Dabei galt er vor 15 Jahren noch als möglicher Kronprinz von „König Kurt“, dem Landesvater Sachsens, Kurt Biedenkopf.

Kurz nach 17 Uhr kehrt Dietmar Vettermann von seinem Tagwerk ins Bauernhaus zurück. Noch schnell den drei Katzen etwas Futter hingestellt, dann setzt er sich vor den Kamin: „Auch hier ist es gerade ziemlich kalt“, sagt Zwickaus Ex-OB (2001-2008). „Aber die Öl-Heizung werfen wir nur selten an.“ Warum auch, wenn man es vor den knisternden Flammen viel gemütlicher hat.


Als Fahrer einer Waschfirma hält Dietmar Vettermann (59) mit vielen Einwohnern der Insel Kontakt und wurde herzlich aufgenommen.
Gemeinsam mit seiner Frau Birgit – sie arbeitet als Krankenschwester – lebt der ehemalige Politiker jetzt dort, wohin die Familie schon Jahre vorher immer gern in den Urlaub fuhr.

Von der Wohnzimmercouch blickt er auf die 200 Meter entfernte Ostsee – bis zum Horizont. Er ist glücklich, oder „hygge“, wie Dänen ihr spezielles Lebensgefühl nennen. „Für uns ist das die Vorstufe zum Paradies“, schwärmt der Sachse von der kleinen Insel Ærø die nur 30 Kilometer lang. Bis zu 6 Kilometer breit ist und rund 6.300 Bewohner zählt.

Die beliebte Heiratsinsel, auf der jährlich etwa 4.000 Ehe geschlossen werden, am südlichen Eingang zum Kleinen Belt verfügt über das milde Seeklima der dänischen „Südsee“. Sogar Wein, Feigen und Maulbeerbäume wachsen auf der Insel.

Der Busfahrer hält an, wenn Kinder winken.

„Überall gibt es Spielplätze. Und auch die Alten werden mit großem Respekt behandelt.“

Es wirkte beinahe wie eine Flucht, als Familie Vettermann im Sommer 2008 die Koffer packte. Der Entschluss sei bereits viel früher gefallen – 2007 kündigte der OB an, nicht wieder zur Wahl anzutreten.


Seine Insel erkundet Vettermann gern auch mal allein in Freizeitkluft.
„Da waren diese von zweifelhaften Interessenlagen getriebenen Stadträte, diese Arroganz.“ Mitunter fühlte sich Vettermann selbst von eigenen Leuten verraten. Als gar eine Morddrohung ins Haus flatterte, zog er den Schlussstrich. Und er lernte Dänisch. „Man muss hier offen und aufgeschlossen sein und sich etwas mit der Sprache bemühen“, erinnert er sich an die ersten Wochen.

„Dann wird man auch als Fremder herzlich aufgenommen.“

Wo andere erst einmal ihren Zaun hochziehen, erklärten die Vettermanns ihr Grundstück zum öffentlichen Skulpturen-Garten. In einer alten Telefonzelle steckt hier auch die „kleinste Galerie Dänemarks“ voller Laienkunst.

Die richtigen Künstler – und da gibt es auf der Insel so einige – rümpften zunächst die Nase. Jetzt aber soll Vettermann gar in deren Vorstand gewählt werden. Denn dieser Mann, bemerkte man inzwischen, kann etwas bewegen.

Auch wenn der gläubige Katholik hier nur evangelische Gemeinden findet, integrierte er sich sofort ins Inselleben. Sonntags setzt er sich – auf Honorarbasis – oft an eine Orgel der sieben Kirchen auf der Insel. „Manchmal begleite ich an einem Wochenende drei Gottesdienste.“


Der Glaube und das Hobby als Nebenjob: Auf den Orgeln der sieben Kirchen der Insel begleitet der Neu-Däne die Gottesdienste
Für ihn ist das eine Ehre und ohnehin nur Verkündigung. Doch die dänische Staatskirche besteht darauf, dass er sich das bezahlen lässt. Auch von der Politik kann er nicht ganz lassen. Vettermann ist im Ortschaftsrat und kümmert sich zur Zeit bevorzugt um den Breitband-Ausbau. „Wir sind schon ziemlich weit, hier ist fast jeder Kuhstall online.“ Seine in Dresden lebenden Kinder beneiden ihn nicht wenig um seine Tempovorteile.

Das politische Treiben in Sachsen hingegen verfolgt der Aussteiger mit der gegebenen räumlichen und zeitlichen Distanz. Doch der unverblümte Hass, die Rohheit, erfüllen auch ihn mit großer Sorge. Vettermann: „Natürlich frage ich mich in solchen Situationen auch immer wieder: Wie würde ich reagieren? Oft bin ich da auch ein wenig ratlos.“

Das ist aber nicht der Grund, warum er garantiert nicht wieder zurückkommt. Dietmar Vettermann hat hoch im Norden sein Glück gefunden und ist froh, nicht mehr in dieser Mühle zu stecken. Und er ist so richtig „hygge“.

So war das mit der Biedenkopf-Nachfolge

Am Anfang war das Wort: Er sei ein hochbegabter Fachmann, aber ein miserabler Politiker. So urteilte Kurt Biedenkopf über Georg Milbradt und warf den Finanzminister kurz darauf aus dem Kabinett – der Anfang vom Ende des Königreiches. Der somit arbeitslose Westfale hatte nun viel Zeit und genügend Material, um am Thron des Königs zu sägen. Und Milbradt hatte sich in Dresden eine kleine Hausmacht aufgebaut. Nach mehreren Affären dankte der König ab.

Die Biedenkopf-Getreuen – vornehmlich aus den Provinzen – wollten vor genau 15 Jahren einen Sachsen als Biko-Nachfolger und überredeten den landespolitisch kaum bekannten OB von Zwickau, gegen Milbradt anzutreten. Der von vornherein chancenlose Vettermann legte sich richtig ins Zeug, nannte Milbradt gar einen Kühlschrank. Und er scheiterte kläglich.

Im Jahr 2008 dann die Retourkutsche: Durch Milbradts Strukturreform verlor Zwickau seine Kreisunabhängigkeit. Für Vettermann der Grund, sein CDU-Parteibuch abzugeben und sich aus der Politik zu verabschieden.

von

Günter Schwarz – 20.02.2017