(Lübeck) – Solch einen Jubel hat man am Theater Lübeck nur selten erlebt. Der Abend über die Comedian Harmonists begeisterte das Publikum. Die Lübecker Ausgabe der Comedian Harmonists war ein voller Erfolg. Sämtliche Vorstellungen in dieser Saison sind schon jetzt so gut wie ausverkauft, und die Premiere am Samstagabend wurde ein Triumph für das Theater.

Das Schicksal der „ersten deitschen Boygroup“ ist hinlänglich bekannt. Es wurde beschrieben, verfilmt und dokumentiert. Ihre Lieder, vor allem ihren Sound haben viele bis heute im Ohr, denn wer hat nicht schon einmal „Den kleinen grünen Kaktus“ oder „Veronika, der Lenz ist da“ und „Wochenend und Sonnenschein“ gehört. Trotzdem wirken sie auf der Bühne wie neu. Die Comedian Harmonists eroberten das Theater Lübeck mitsamt dem Publikum im Sturm.

„In der Bar Zum Krokodil“ heißt das Stück, das am Sonnabend seine Uraufführung erlebte. Schauspieldirektor Pit Holzwarth hat es geschrieben und inszeniert. Zum Teil beruhen die Szenen auf Texten des 2010 verstorbenen Schauspielers Renato Grünig. Die „erste deutsche Boygroup“ wurde 1927/28 in Berlin gegründet. Es dauerte seine Zeit, bis der Durchbruch erreicht war. Aber der gelang. Auf der Bühne ebenso wie im Rundfunk und bei der Schallplatte.

Bekannt ist natürlich auch, dass mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus, mit der Machtergreifung von 1933 das Ende der Gruppe eingeläutet wurde. Denn drei der sechs Mitglieder waren nach den Rassengesetzen der Nazis nicht arisch. So wurden sie auseinandergetrieben, versuchten es mit neuen Sängern. In Deutschland trat das „Meistersextett“ die Nachfolge an, im Ausland waren es die „Comedy Harmonists“ – aber beide Formationen reichten den Comedian Harmonists nicht das Wasser – das Original blieb eben das Original.

Pit Holzwarth beginnt seine Szenenfolge mit der Vorstellung der Gruppenmitglieder. Sie halten sich für einige Augenblicke Masken des Alters vors Gesicht, erzählen ihr Schicksal. Dann kommt das historisch belegte Vorsingen von Kandidaten in der Berliner Wohnung des Gründers Harry Frommermann. Sie kommen aus Polen, aus Bulgarien, natürlich auch aus Deutschland. Sie proben wie die Irren, was nicht ohne Streit abgeht. Die ersten Vorsingen bei den Bossen der großen Berliner Varietés sind eine Enttäuschung. Sie feilen weiter am Sound, an der Choreographie, bis alles stimmt. Das lässt sich natürlich gut nacherzählen und nachspielen.

Aber der Reiz dieser Auferstehung steht und fällt mit dem Gesang als Ensemble. Wie in hier Schauspieler und Sänger zum Gesangsquintett zusammengeschweißt wurden, das ist verblüffend und reißt das Publikum mit. Jeder Chorleiter wird zustimmen, wenn bei den Proben immer wieder vom Chef am Klavier betont wird: „Ihr müsst aufeinander hören, müsst gemeinsam atmen. Wer die anderen nicht hört, singt zu laut!“ Sie singen sich jedenfalls in die Herzen der Zuschauer im Großen Haus: Andreas Hutzel als Bariton, Johann Moritz von Cube (1. Tenor), Tom Semmler (2. Tenor), Johannes Merz (3. Tenor), Henning Sembritzki (Bass). Das jedenfalls waren die Tonlagen bei den Originalen, deren Namen im Programmheft stehen.

Willy Daum stand als musikalischer Leiter im Hintergrund. Am Flügel aber sitzt Will Workman aus dem Schauspielensemble. Hut ab! Mehr als ein Dutzend großer Hits aus dem Repertoire der Comedian Harmonists erklingen, gekonnt für die neuen Stimmen arrangiert. Höhepunkt war dabei der Auftritt in der Berliner Philharmonie anno 1932. Angeblich saßen in der zweiten Reihe Arturo Toscanini und Max Reinhardt, einer der bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts und Berlins bekanntester Theaterregisseur.

Ausstatter Werner Brenner stellte mehrere spitzwinklige Bögen auf die Bühne, Spitze nach oben. Mit Lichteffekten wurden die Auftritte optisch unterstrichen. Zwischen den Rippen flatterten am Schluss die Hakenkreuzfahnen. Dröhnende Marschklänge weckten Erinnerungen an dunkle Kapitel deutscher Geschichte. Nachdenklich stimmt in Holzwarts Deutung, dass die Gruppe sich auch innerlich spalten ließ. Persönliches Karrieredenken, Eitelkeiten, Egoismen siegten über die schönen Harmonien.

Neben den genannten Musikern gebührt Robert Brandt ein großes Lob. Er spielte sich durch ein Dutzend Rollen, vom Kunstagenten zum Conferencier und Theaterdirektor bis hin zur Schnauze von Goebbels. Nach drei Stunden wollte das Premierenpublikum noch mehr hören und ertrotzte einige Zugaben. Die weiteren Vorstellungen in dieser Spielzeit: 22. Februar, 12. und 18. März, 9., 15. und 29. April, 12., 19. und 25. Mai, 10., 18. und 23. Juni, 6. Juli.


Die Uraufführung ist gelungen: Das Publikum forderte am Samstagabend Zugaben. Fotos: Thorsten Wulff
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Günter Schwarz – 21.02.2017