(Los Angeles) – Am kommenden Sonntag werden in Los Angeles zum 89. Mal die Oscars vergeben. Im Vorfeld der Zeremonie stehen die Zeichen auf Sturm, es werden Protestaktionen des liberalen Hollywood gegen den rechtspopulistischen US-Präsidenten Donald Trump erwartet. Widerstand und Aktionismus bei den Oscars haben eine lange Tradition. Filmstars nutzten die Bühne bereits mehrfach, um für die Rechte indigener Völker aufzutreten sowie gegen den Krieg oder die Diskriminierung Homosexueller zu demonstrieren.

2013 verkündete eine strahlende First Lady Michelle Obama den Oscar für den besten Film live aus dem Weißen Haus. In diesem Jahr sind Neo-Präsident Donald Trump und seine Gattin bei der Verleihung alles andere als willkommen. Die Oscar-Zeremonie am Sonntag wird vermutlich aufsässig, widerständig und sehr politisch. Politischer, als sie es ohnehin seit Jahren und Jahrzehnten schon war.

Meryl Streep lieferte bei den Golden Globes einen eloquenten Vorgeschmack auf das, was uns in der Oscarnacht 2017 erwartet. In ihrer Dankesrede für den Lifetime-Award erinnerte sie an einen Moment, in dem Trump einen körperlich gehandycappten Reporter nachgeäfft hatte, um ihn herabzusetzen. Das sei für sie die traurigste Schauspiel-„Performance“ des Jahres gewesen, denn wenn ein Mächtiger wie Trump einen Schwächeren erniedrige, öffne er Nachahmern Tür und Tor.

Hollywoods Branchenmagazin „Variety“ griff den Fall auf: „Er (Trump) hat sich als Performer und weniger als Politiker in dieses Amt hochgehangelt“, schrieb Chefkritiker Owen Gleiberman. „Er ist der Präsident der Entertainment-Staaten von Amerika, und vermutlich ein besserer Schauspieler als viele der Nominierten.“ Doch während es sich Hollywood zur Aufgabe gemacht habe, an die Empathie der Menschen zu appellieren, appelliere Trump an deren niedrigste Instinkte, so wie die Nazis es getan hätten. Scharfe Worte. Das Duell „Hollywood versus Trump“ ist offensichtlich eröffnet, mit der Oscar-Nacht als strahlender PR-Bühne des liberalen Showbusiness.

Reagan als Oscar-Moderator der Ära McCarthy

Im Jahr 2017 scheinen die Fronten klar abgesteckt – auf der einen Seite das linksliberale Hollywood, auf der anderen der neue, rechtspopulistische Präsident. Dabei stand der Oscar nicht immer für liberale Weltoffenheit. Die breitenwirksame Geschichte dieses weltweit wichtigsten Preises der Filmwirtschaft beginnt im Grunde mit seiner ersten Übertragung im Fernsehen. Im Februar 1953 konnten plötzlich 80 Millionen Zuschauer live miterleben, was bis dahin ein elitäres Dinner für die Branche gewesen war.

Und 1953 war nicht irgendein Jahr. Die Filmindustrie litt unter den Repressionen des Kommunistenjägers Senator McCarthy, der angebliche Sympathisanten von Hammer und Sichel auf die Schwarze Liste setzen und mit einem Arbeitsverbot belegen ließ. Die Preisvergabe konnte 1953 gar nicht anders verstanden werden denn als politisches Statement, denn nominiert werden durften nur jene Werke, die dem HUAC, dem Untersuchungsausschuss für unamerikanische Umtriebe, als unverdächtig erschienen.

Der Kommentator dieser ersten, im Fernsehen übertragenen Oscar-Verleihung war übrigens kein Geringerer als der spätere US-Präsident Ronald Reagan. In ihren Anfangsjahren spiegelte die Verleihung politisch also eher einen konservativen, um nicht zu sagen, biederen Mainstream.

„Ihr kommunistischen Schwulensöhne!“

Im Jahr 2009 klang die Sache ganz anders: „Ihr kommunistischen, homophilen Schwulensöhne!“ schmetterte Sean Penn in den Saal und erntete für diese liebevoll gemeinte Begrüßung großen Applaus. Penn, der für die Rolle des Schwulenaktivisten Harvey Milk als bester Darsteller ausgezeichnet wurde, nutzte seinen Auftritt, um gegen eine Volksabstimmung in Kalifornien zu protestieren, die kurz zuvor gleichgeschlechtliche Hochzeiten verhindert hatte: „Die, die gerade gegen Homoehen gestimmt haben, sollten sich jetzt einmal zurücklehnen und nachdenken über ihre Schande und die Schande, die sie über ihre Enkelkinder bringen werden mit dieser Haltung. Wir brauchen gleiche Rechte für alle!“

Bereits 1974 hatte Robert Opel, Aktivist für Schwulenrechte, noch publikumswirksamer auf das Thema aufmerksam gemacht. Mit den Händen ein Peace-Zeichen formend, war er nackt hinter Laudator David Niven vorbeigeflitzt. Doch Niven behielt Haltung, und das Publikum war weniger schockiert als milde amüsiert.

Susan Sarandons stiller Protest

Einen Höhepunkt erreichten die politischen Oscareden bei der 65. Preisverleihung, 1993, als sich das Präsentatorenpaar Tim Robbins und Susan Sarandon über das vorgefertigte Skript hinwegsetzte und die Regierung aufforderte, ein Internierungslager für HIV-positive Haitianer auf Kuba zu schließen. Gil Cates, der langjährige Produzent der Oscar-Fernsehübertragung, war über diesen Regelverstoß so erbost, dass er drohte, die beiden mit einer lebenslangen Oscar-Sperre zu belegen.

Was ihm nicht gelang. Denn 2003 betrat Sarandon die Oscar-Bühne erneut als Präsentatorin. Vor ihr hatte bereits Dokumentarfilmer Michael Moore sein berühmtes Protestgewitter gegen den Irakkrieg losgelassen: „Schämen Sie sich, Mr. Bush. Schande über Sie!“ Sarandon genügte also eine kleine Geste, um zu tun, was sie nicht lassen konnte: Mit den Händen formte sie ein Peace-Zeichen. Und jeder wusste, worum es ihr ging.

Marlon Brando verzichtet zu Gunsten der Apachen

Eine der frühesten politischen Aktionen auf der Oscar-Bühne war Marlon Brandos nicht gehaltene Dankesrede für seine Auszeichnung zum besten Darsteller in „Der Pate“, 1973. Brando selbst blieb der Verleihung fern und schickte an seiner Stelle die Apachen-Aktivistin Sacheen Littlefeather auf die Bühne, die einen Kommentar zur despektierlichen Behandlung der American Natives durch die Filmindustrie verlas. Littlefeather erntete jede Menge Buhrufe, aber auch Applaus.

Benachteiligte Minderheiten und Migranten wurden bei den Oscars immer wieder thematisiert. Als Natalie Portman 2012 Demian Bichir auf der Bühne vorstellte, der für „A Better Life“ als bester Nebendarsteller nominiert war, nannte sie seine Rolle die eines „undokumentierten Immigranten“, den gängigen Ausdruck „illegal“ vermied sie bewusst, und setzte allein durch diese Nuance eine politische Botschaft ab.

Immigranten bauten Hollywood auf

Hollywoods Haltung Flüchtlingen und Immigranten gegenüber ist traditionell liberal, schon allein, weil die US-Filmindustrie großenteils von Einwanderern und Flüchtlingen, viele davon Emigranten aus dem alten Europa, aufgebaut wurde. Wer auf eine solche Familiengeschichte zurückblickt, reagiert empfindlich, wenn er hört, dass der iranische Regisseur Asghar Farhadi, der mit seinem Drama „The Salesman“ in diesem Jahr in der Kategorie „Bester Fremdsprachiger Film“ nominiert ist, der Zeremonie wegen Trumps Einreisestopp fernbleiben muss. Zwar ist der Einreisestopp inzwischen per richterlichen Beschluss aufgehoben. Doch die Beklemmung bleibt.

Farhadi gab bereits bekannt, dass er nicht zu den Oscars anreisen werde – er fühle sich in Amerika nicht mehr willkommen. Es wurden zwischenzeitlich sogar Stimmen laut, die forderten, die gesamte Preisverleihung aus Solidarität mit den „Ausgesperrten“ ausfallen zu lassen.

Doch der Oscar findet statt. Die Produzenten der Verleihung werden übrigens ein neues Feature ausprobieren. Die „thank-you scroll“ (Dankesliste) soll die Rednerinnen und Redner von den vielen Danksagungen entlasten, die stattdessen als Laufschrift über die Fernsehmonitore flimmern werden. Die Sieger können ihre 45 Sekunden an der Sonne also nutzen, um Wichtigeres zu sagen als „thank you mom“. Und man darf gespannt sein, was es ist.

von

Günter Schwarz – 22.02.2017