Türkischer Botschafter „zum Gespräch gebeten“
(Berlin) – Die von der Türkei gegen den „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel verhängte U-Haft sorgt für heftige Empörung in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern. Dem 43-jährigen Journalisten werden „Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung“ vorgeworfen. Die Nachricht über seine Inhaftierung sei „bitter und enttäuschend“, so die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Für den deutschen Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) steht das Verhältnis Deutschlands zur Türkei „vor einer seiner größten Belastungsproben in der Gegenwart“. Er zitierte den türkischen Botschafter in Berlin zum Gespräch ins Außenministerium.
Außenminister Sigmar Gabriel äußerte sich sehr kritisch: „Der Fall Deniz Yücel wirft ein grelles Schlaglicht auf die Unterschiede, die unsere beiden Länder offensichtlich bei der Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze und in der Bewertung der Presse- und Meinungsfreiheit haben“, sagte er. „Das sind dramatische Zeiten für die Türkei, es sind auch schwierige Zeiten für die deutsch-türkischen Beziehungen.“
Am Dienstagnachmittag hieß es aus dem deutschen Außenamt, man habe den türkischen Botschafter in Berlin zu einem Gespräch gebeten. Es sei ihm deutlich gemacht worden, dass es „sehr große Bewertungsunterschiede“ bei der Presse- und Meinungsfreiheit zwischen beiden Ländern gebe, sagte Gabriel. „Die Solidarität mit Deniz Yücel ist der Ausdruck der klaren Haltung in der deutschen Öffentlichkeit.“
U-Haft kann bis zu fünf Jahre dauern
Der Journalist war am Montag nach 13 Tagen im Polizeigewahrsam in Untersuchungshaft genommen worden. Diese kann bis zu fünf Jahre dauern, bis es zur Freilassung oder zu einem Prozess kommt, in dem die Schuldfrage geklärt wird. Yücel hatte sich am 14. Februar bei der Polizei in Istanbul freiwillig gemeldet, weil nach ihm gefahndet worden war. Er wurde umgehend festgenommen.
Dem 43-jährigen Korrespondenten werden der „Welt“ zufolge „Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung“ vorgeworfen. Yücel besitzt die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft. Aus Sicht der türkischen Behörden ist er damit ein einheimischer und kein ausländischer Journalist.
Nach Artikel 7 des Anti-Terror-Gesetzes drohen für Terrorpropaganda ein bis fünf Jahre Gefängnisstrafe. Die Strafe kann allerdings um die Hälfte erhöht werden, wenn die Propaganda in Medien veröffentlicht wurde. Den Verantwortlichen in diesen Medienhäusern droht außerdem ein Bußgeld. Auch Volksverhetzung kann in der Türkei mit Gefängnis geahndet werden: Nach Artikel 216 des türkischen Strafgesetzbuches beträgt das Strafmaß dafür ein bis drei Jahre Haft.
Für Amnesty International „inakzeptabel“
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nannte den Haftbefehl „inakzeptabel“. Reporter ohne Grenzen erklärte: „Dass ein Korrespondent einer namhaften ausländischen Redaktion sich jetzt gegen solche Anschuldigungen erwehren muss, bedeutet eine neue Qualität der Verfolgung, die deutlich über die bisherigen Schikanen wie Einreisesperren oder verweigerte Akkreditierungen hinausgeht.“
Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner bezeichnete das Vorgehen der türkischen Justiz als „Mechanismus der Einschüchterung“ eines autokratischen Systems. „Sein Fall ist kein Einzelfall, er ist Teil eines Systems, von neuer Qualität ist er nur deshalb, weil hier der Korrespondent einer nichttürkischen Zeitung betroffen ist“, schrieb der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger in einem auf welt.de veröffentlichten Beitrag.
Demos unter dem Motto „#FreeDeniz“
Er hatte zuvor eine Kundgebung für Dienstagabend vor der türkischen Botschaft in Berlin unter dem Motto „#FreeDeniz“ angekündigt. In mehreren deutschen Städten sowie Zürich, Wien und Graz wurde mit Autokorsos protestiert. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem im Juli 2016 verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Etwa 150 regierungskritische türkische Journalisten sitzen momentan in Haft.

Demonstranten vor der türkischen Botschaft in Berlin fordern die Freilassung von Deniz Yücel.
von
Günter Schwarz – 01.03.2017