Der österreichische Kanzler wirft dem türkischen Präsidenten Erdogan vor, Menschenrechte und demokratische Grundrechte mit Füßen zu treten und er spricht sich dafür aus, die Wahlkampfauftritte türkischer Politiker EU-weit zu verbieten. So würden einzelne EU-Länder nicht unter Druck der Türkei kommen. Er forderte zudem ein sofortiges Ende der Beitrittsgespräche.  Bundesaußenminister Gabriel mahnt zur Mäßigung

Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern hat sich für ein EU-weites Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker ausgesprochen. „Eine gemeinsame Vorgehensweise der EU, um solche Wahlkampfauftritte zu verhindern, wäre sinnvoll“, sagte Kern der „Welt am Sonntag“.

Damit könnte verhindert werden, dass einzelne Länder wie Deutschland, in denen solche Auftritte untersagt würden, unter Druck der Türkei gerieten, fügte der Sozialdemokrat hinzu. Türkische Regierungsvertreter planen, vor der Volksabstimmung am 16. April für eine Verfassungsreform in ihrem Land in mehreren EU-Staaten wie Deutschland und den Niederlanden zu werben.

Die Regierung in Ankara will Minister nach Deutschland schicken, um für die von Präsident Recep Tayyip Erdoğan  angestrebte Verfassungsänderung zu werben. Tag der Abstimmung über die Verfassungsreform in der Türkei ist der 16. April. Am Donnerstag und Freitag waren im baden-württembergischen Ort Gaggenau sowie in Köln und Frechen in Nordrhein-Westfalen von Seiten der Kommunen Veranstaltungen mit Auftritten türkischer Minister abgesagt worden. Die Absagen hatten für erheblichen Unmut in der Türkei gesorgt. Für Sonntag ist ein Auftritt von Wirtschaftsminister Nihat Zeybekcis bei einer Kulturveranstaltung in Leverkusen geplant.

Gabriel warnt vor weiterer Eskalation

Angesichts der angespannten Beziehungen zur Türkei warnte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel vor einer weiteren Eskalation und mahnt zur Mäßigung. „Wir dürfen das Fundament der Freundschaft zwischen unseren Ländern nicht kaputt machen lassen“, schrieb der SPD-Chef in einem Gastbeitrag für die „Bild am Sonntag“. Das Verhältnis zur Türkei sei in diesen Tagen einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt. „Wir sind gut beraten, die schwierigen Themen, die zwischen uns stehen, nicht gegeneinander aufzurechnen. Gesprächskanäle zuschütten, ist keine Politik.“ Gabriel trifft sich am Mittwoch mit seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu in Deutschland.

Der Außenminister sprach sich nicht generell gegen Auftritte türkischer Politiker in Deutschland zu Wahlkampfzwecken aus, stellte aber klare Bedingungen. „Wer bei uns reden will, muss uns nicht nach dem Mund reden, aber er muss unsere Regeln respektieren. Die Regeln des Rechts, genauso wie die Regeln des Anstands.“

Präsidialsystem widerspricht den Werten der EU

Die mögliche Einführung eines Präsidialsystems würde Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan deutlich mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen. Mit Blick auf die geplante Verfassungsänderung kritisierte Kern, dass „die Einführung eines Präsidialsystems den Rechtsstaat in der Türkei noch weiter schwächen, die Gewaltenteilung einschränken und den Werten der Europäischen Union widersprechen würde“.

Kern kritisierte Erdoğan auch angesichts der anhaltenden Verhaftungen von Oppositionellen in der Türkei: „Präsident Erdoğan muss endlich auf den Boden der Rechtsstaatlichkeit zurückkehren, von dem er sich zuletzt immer weiter entfernt hat“. Menschenrechte und demokratische Grundrechte würden mit Füßen getreten und Pressefreiheit sei ein Fremdwort in dem Land am Bosporus.

„Die Türkei muss Herrn Yücel umgehend frei lassen“

Das zeige auch die Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel und weiterer Journalisten und Wissenschaftler. „Das ist schockierend“, sagte Kern. Yücel habe unabhängig und kritisch über die Türkei berichtet. „Die Türkei muss Herrn Yücel umgehend frei lassen. Wir erwarten, dass Ankara eine Minimaldosis an Rechtsstaatlichkeit einhält.“ Yücel ist derzeit in der Türkei in Haft. Erdoğan hatte den Korrespondenten der Tageszeitung „Die Welt“ als „deutschen Agenten“ bezeichnet. Die deutschen Behörden beschuldigte er der Unterstützung des Terrorismus in der Türkei.

In diesem Zusammenhang bekräftigte Kern seine Forderung nach einem sofortigen Abbruch der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei: „Wir sollten die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht nur vorübergehend aussetzen, sondern beenden. Wir können nicht weiter mit einem Land über eine Mitgliedschaft verhandeln, das sich seit Jahren Schritt für Schritt von demokratischen Standards und rechtsstaatlichen Prinzipien entfernt.“ Auch die Vorbeitrittshilfen von 4,5 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 sollten umgehend gestrichen oder als Druckmittel für politische Reformen verwendet werden. „Wir sollten die Beziehungen zur Türkei neu ausrichten“, so Kern. „Ohne die EU-Beitrittsillusion.“

von

Günter Schwarz – 05.03.2017