(Istanbul) – Recep Tayyip Erdoğan befindet sich auf Konfrontationskurs mit Deutschland und den Niederlanden, die Beziehungen sind angespannt wie nie zuvor. In der Türkei wird die Luft immer dünner. Kaum jemand im Land wagt heutzutage ein kritisches Wort, ohne sich vorher kurz umzudrehen und sich zu versichern, dass nicht noch andere Ohren mithören. Jeder muss mit Schwierigkeiten rechnen – vor allem wer sich kritisch über Präsident Erdoğan und seine Regierung äußert.

Die Medienschaffenden in der Türkei führen Interviews und Hintergrundgespräche schon seit einigen Monaten nicht mehr in öffentlichen Räumen, denn die Behörden hören mit und schnüffeln jedem Journalisten nach. Kürzlich informierte der Besitzer eines Cafés einen seiner Stammgäste, der für die Presse arbeitet, dass bei ihm auch der Geheimdienst immer wieder mal zu Gast ist und sich über die Kundschaft erkundigt. Wenig erstaunlich, dass es deshalb immer schwieriger wird, Protagonisten zu finden, die sich noch trauen, sich vor ausländischen Kameras zu äußern.

Seit dem gescheiterten Putsch vom 15. Und 16. Juli 2016 weiß niemand mehr, wo die rote Linie verläuft. Es herrscht eine große Verunsicherung darüber, was man eigentlich noch sagen oder schreiben kann, ohne Gefahr zu laufen, hinter Gittern zu landen. Denn mit dem nach dem Putschversuch verhängten Ausnahmezustand haben Polizei und Justizbehörden praktisch uneingeschränkte Machtbefugnisse erhalten.

Von diesen neuen Befugnissen wird reichlich Gebrauch gemacht. Interviewpartner ausländischer Journalisten landen schnell im Gefängnis, so wie der Co-Vorsitzende der oppositionellen Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtas, und Kadri Gürsel, Journalist der letzten oppositionellen Zeitung „Cumhuriyet“.

Gürsel sitzt seit viereinhalb Monaten in Haft und hat keine Ahnung, wann sein Prozess beginnt. Der Kurdenführer Demirtas wurde am 4. November 2016 festgenommen und offenbar gefoltert. Die Staatsanwaltschaft fordert nun bis zu 142 Jahre Gefängnis wegen Verbindungen zur verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und „Terror-Propaganda“.

Selbst die Festnahme von Medienschaffenden mit ausländischen Pässen ist nicht mehr tabu, wie etwa jene des deutsch-türkischen Doppelbürgers und „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel, der zur Zeit in Isolationshaft sitzt. Er wird unter anderem beschuldigt, ein Spion zu sein und Terrorpropaganda verbreitet zu haben.

Besonders frappant ist das Auftreten der Repräsentanten des Machtapparates im Südosten der Türkei. Die Kurdenmetropole Diyarbakir gleicht einer belagerten Stadt. Die gesamte gewählte Stadtregierung ist in Haft. Auch in der multikulturellen Stadt Mardin wurde die Stadtregierung durch Zwangsverwalter ersetzt. Die Herrscher zeigen sich offensiv, wie kürzlich im Garten eines assyrischen Klosters, in dem schwer bewaffnete Sicherheitskräfte herumlungerten, rauchend und laut zotend, während im Kirchenschiff die christlichen Gläubigen ihre Messe feierten.

Im Moment steigt die Fieberkurve in der Türkei weiter an, denn am 16. April 2017 wird über eine Verfassungsänderung abgestimmt, die Präsident Erdogan noch mehr Macht einräumen soll. Während die Ja-Kampagne für ein Präsidialsystem auch im Ausland für Schlagzeilen und vor allem für diplomatische Verstimmung sorgt, sind die Nein-Stimmen kaum zu hören. Kein Wunder: Die Regierung Erdogan hat die Gegner der Vorlage als Landesverräter diffamiert. Zudem sind mehrere hundert Oppositionspolitiker im Gefängnis – vor allem Repräsentanten der pro-kurdischen HDP.

Von einem fairen Abstimmungskampf kann kaum die Rede sein. Viele wagen zudem kaum, öffentlich zu ihrer Haltung zu stehen. Verlässliche Prognosen sind darum kaum möglich. Viele Beobachter gehen aber von einem sehr knappen Resultat aus, sollte die Wahl am 16. April von Erdoğan und seinen AKP-Anhängern nicht manipuliert werden, womit in jedem Fall zu rechnen sein wird.

von

Günter Schwarz – 15.03.2017