Stockholm gibt „freie Fahrt“ für türkischen Wahlkampf in Schweden
(Stockholm) – Das umstrittene türkische Verfassungsreferendum beschäftigt unfreiwillig die Europäer. Nach dem Eklat in den Niederlanden gibt die schwedische Regierung grünes Licht für türkischen Wahlkampf im eigenen Land. Dies gebieten Meinungs- und Versammlungsfreiheit.
Der türkische Wahlkampf für ein umstrittenes Referendum, welches dem türkischen Präsidenten zu mehr Macht verhelfen soll, weitet sich zu einer diplomatischen Krise für die Europäer aus. Die europäischen Länder sind sich uneinig, wie mit dem aktiven Herantreten türkischer Politiker an türkische Einwanderer auf eigenem Territorium umzugehen ist.
Sie fürchten sich davor, dass Erdoğan den Flüchtlingspakt mit der EU als Druckmittel für seine Interessen instrumentalisieren könnte. Während die türkisch-niederländischen Beziehungen feierlich mit einem Trauerkranz in Istanbul zu Grabe getragen wurden und der amtierende türkische Präsident Kanzlerin Merkel als Terrorunterstützerin verunglimpft, will sich Schweden aus den Streitigkeiten seiner EU-Nachbarn heraushalten und gegenüber der Türkei versöhnlich präsentieren.
Stefan Löfven, der schwedische Premierminister, gab am Montag gegenüber den schwedischen Tagesnachrichten Dagensnyheter bekannt, dass die Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit gewahrt werden müssen. Dies gelte auch für ausländische Politiker, solange die Ausübung der Grundrechte friedvoll verliefe. Gleichzeitig bekräftigte er sein Missfallen gegenüber den Entwicklungen in der Türkei.
„Wir sind natürlich besorgt über die Entwicklungen in der Türkei. Bei dem Referendum geht es um alle Menschen, die verhaftet wurden, alle, die eingesperrt wurden. Es gibt dort Einschränkungen der Meinungsfreiheit.“
Die Verfassungsänderung zöge nach sich, dass Erdoğan Staats- und Regierungschef in einer Person werden würde. Er hätte dann unter anderem die Macht inne, Gesetzesänderungen per Veto Einhalt zu gebieten. Weiterhin könnte er Minister ins Amt berufen, ohne dabei das Parlament zu Rate ziehen zu müssen. Eine Parteiunabhängigkeit des Präsidenten wäre nicht mehr erforderlich.
Am vergangenen Sonntag war der AKP-Vorsitzende und türkische Landwirtschaftsminister Mehdi Eker in Stockholm zu Gast. Eker kam nicht auf Einladung der schwedischen Regierung und hatte auch keine Termine mit schwedischen Politikern. Der ursprünglich geplante Veranstaltungsort stand nicht für seinen Auftritt zur Verfügung. Verantwortlich dafür war aber nicht die Politik, sondern ein Vertragsrücktritt des Vermieters.
Der Auftritt Ekers wurde von der schwedischen Ministerin Alice Bah Kuhnke als eine Frage der Demokratie gewertet. Die schwedische Polizei tat am Sonntag ihr Bestes, um AKP-Unterstützer von deren Gegnern zu trennen. In Schweden leben etwa 45.000 Bürger, die in der Türkei geboren wurden.
Fredrik Malm von der linksgrünen Partei MP widerspricht Löfven und Kuhnke in ihren Ansichten und verweist auf die Situation in der Türkei, die sich auf dem Weg in die Diktatur befände. Malm sorgte sich auch um mögliche Auseinandersetzungen ethnischer Gruppen auf schwedischem Boden.
Eker fand sich unterdessen in dem Stockholmer Vorort Fittja ein, der der schwedischen Polizei auf Grund seiner Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden bekannt ist. Im Februar 2016 wurde hier ein Anschlag auf ein türkisches Kulturhaus verübt, hinter welchem kurdische Radikale vermutet wurden. Die Frage der Demokratie in der Türkei war nicht Inhalt von Ekers Rede. Dieser unterstrich vielmehr die positiven Entwicklungen in der Türkei in der Minderheitenpolitik und wurde von wütenden Kurden unterbrochen. Im Jahr 2015 gaben 8.000 der 39.000 schwedischen Türken, die bei Wahlen in der Türkei stimmberechtigt sind, ihre Stimme ab.
Der dänische Nachbar unter der Regierung des Premierministers Lars Løkke Rasmussen verfolgte mit Blick auf den Wahlkampf vor Auslandstürken eine andere Linie als die Schweden. Rasmussen forderte seinen türkischen Kollegen Binali Yıldırım dazu auf, einen für den am 19. und 20. März geplanten Besuch abzusagen. Rasmussen zeigte sich damit solidarisch mit den Niederländern.
Löfven hingegen pocht darauf, den Dialog mit der Türkei trotz der schwierigen Situation weiterzuführen. Kuhnke sagte, dass die schwedische Regierung keine Einreiseverbote gegen Einzelpersonen aussprechen würde.
Der niederländische Botschafter ist hingegen in der Türkei nicht mehr willkommen und Den Haag veröffentlichte am Wochenende eine Reisewarnung für niederländische Bürger, die in die Türkei reisen möchten oder müssen. Darin mahnte die Regierung ihre Bürger, Menschenansammlungen, politische Veranstaltungen und gar touristische Orte zu meiden.
von
Günter Schwarz – 15.03.2017