Türkische Konsulate kassieren Pässe in Deutschland ein
Erdoğan-Gegner und -Kritiker können im türkischen Konsulat eine böse Überraschung erleben, denn der türkische Staat schikaniert auch hierzulande Regimegegner. Immer mehr Fälle werden bekannt, in denen Konsularbeamte die Pässe von Kurden, Aleviten oder Gülen-Anhängern ohne Angabe von Gründen einkassieren.
Als sich Mehmet Dag am 2. Februar 2017 in Hamburg ins Auto setzt und in den Stadtteil Rothenbaum fährt, ist er nicht besonders nervös. Dort liegt in der Tesdorpfstraße das türkische Generalkonsulat. Der 33 Jahre alte Familienvater hat einen Termin für seine Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft vereinbart.
Dag (Name geändert) wurde in Deutschland geboren, wuchs in einer hessischen Kleinstadt auf, studierte in Siegen und wurde Lehrer an einem Privatgymnasium, das der Gülen-Bewegung nahesteht. Die Bundesrepublik nennt er „mein Zuhause“. Die deutschen Behörden haben seinem Antrag auf Einbürgerung zugestimmt, und so soll der Termin im türkischen Konsulat reine Formsache sein. Mit der türkischen Entlassungsurkunde will Dag anschließend zum Hamburger Ausländeramt fahren. Dann, so hofft er, kann sein deutscher Pass in Druck gehen.
Doch sein Besuch im Konsulat verläuft anders als erwartet. Nachdem Dag dem Sachbearbeiter die Dokumente ausgehändigt hat, verschwindet der, kommt zurück und sagt: „Den Pass müssen wir behalten, Ihr Antrag wird bearbeitet!“ Wie lange das dauern werde, könne man nicht sagen. Dag protestiert, will seinen Pass zurück, doch der Beamte verweigert ihm diesen. Dag verlässt das Konsulat unverrichteter Dinge – er ist nun ein Mann ohne Identitätsnachweis. Sein Problem: Ohne Reisepass oder einen Beleg darüber, dass dieser abgegeben wurde, ist es deutschen Behörden nicht möglich, einem Einbürgerungsgesuch unverzüglich stattzugeben. Ein langes Hin und Her ist die Folge. Bis zu zwei Jahre kann das dauern.
Was Dag passierte, ist kein Einzelfall. Berichte türkischer Staatsbürger, die in den Konsulaten schikaniert werden, häufen sich – nicht nur in Deutschland, sondern auch in weiteren Staaten geht die Türkei gegen „unliebsame Staatsangehörige“ vor. Die Regierung in Ankara hat es offenbar weltweit auf ihre Kritiker abgesehen und nutzt das Netz diplomatischer Vertretungen als Mobbing-Instrument. Die Schikanen treffen vor allem Anhänger der konservativ-islamischen Gülen-Bewegung, Kurden und Aleviten.
In den vergangenen Monaten hat sich die Gangart der türkischen Behörden weiter verschärft. Kürzlich wurde bekannt, dass Erdoğan-Unterstützer, unter denen sich auch zahlreiche Imame befanden, Informationen über Oppositionelle an Generalkonsulate geliefert hatten. Diese Berichte werden offenbar benutzt, um Menschen zu drangsalieren und deren Einbürgerung nach Deutschland zu erschweren. Eine Anfrage der „Welt am Sonntag“ an das zuständige Konsulat blieb unbeantwortet.
Dass die Situation eine neue Dimension erreicht hat, nimmt man auch in Hamburg wahr. Mindestens vier Fälle von einbehaltenen Pässen sind der Behörde für Inneres bekannt. „Uns offenbart sich hier ein neues Phänomen“, sagt ein Sprecher der Stadt. „Wir beobachten die weitere Entwicklung und stehen diesbezüglich auch in Kontakt mit anderen Behörden.“ Der „Welt am Sonntag“ sind weitere Fälle von Türken kurdischer Herkunft bekannt, denen ihre Pässe abgenommen worden sind. Nach deren Angaben soll es auch zu Zwangsenteignungen, Kontopfändungen und körperlicher Gewalt gekommen sein. Von heftigen Auseinandersetzungen in den Konsulaten in Essen und Hannover ist die Rede.
„Wir kennen die Methoden der türkischen Generalkonsulate nur zu gut, weil wir sie schon so oft selbst erlebt haben“, sagt Melek Yıldız vom Bundesvorstand der Alevitischen Gemeinde Deutschland. Die Aleviten werden als religiöse Minderheit bis heute in der Türkei verfolgt und diskriminiert. Doch auch in Deutschland haben sie keine Ruhe vor türkischen Behörden, wie Yıldız beklagt. So wurde beispielsweise erst kürzlich ein Türkischlehrer mit alevitischem Hintergrund in ein Konsulat in Nordrhein-Westfalen geladen. Er habe sich in seinem Unterricht regierungskritisch geäußert. Ihm sei mit „Konsequenzen“ gedroht worden, sagt Yıldız.
Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Türkei in NRW in die deutsche Schulpolitik einmischt. Mehrere Konsulate sollen dort Ende Januar türkischstämmige Eltern und Lehrer dazu aufgefordert haben, regierungskritische Stimmen in Schulen zu melden.
Nicht nur in Deutschland versucht die türkische Regierung, Kritiker einzuschüchtern. Der türkische Journalist Arslan Ayan arbeitete in Istanbul als Redakteur einer Gülen-nahen Zeitung. Er lebt heute im Exil in New York. Im Herbst wollte er im türkischen Konsulat in Manhattan seinen Pass verlängern lassen. Auch ihm wurde der Ausweis abgenommen. Stattdessen erhielt er ein Ersatzdokument – zur einmaligen Nutzung. „“Die Mitarbeiter haben mich aufgefordert, in die Türkei zurückzukehren, weil es einen Haftbefehl gegen mich gibt“, erzählt Ayan und sagt: „Das werde ich natürlich nicht tun.“ Er hat in den USA Asyl beantragt.
Kamal Sido, Nahost-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker, kennt mehrere Fälle von Menschen, die Angst haben, türkische Vertretungen im Ausland aufzusuchen. „Sie wollen nicht, dass die türkische Regierung weiß, wo sie sind.“ Früher waren es vor allem Kurden, die von Konsulatsmitarbeitern eingeschüchtert wurden. Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Mehmet Tanrıverdi, berichtet sogar von tätlichen Angriffen durch Konsulatsmitarbeiter. „Viele der Betroffenen trauen sich nicht, in die Öffentlichkeit zu gehen“, sagt er. Tanrıverdi fordert die Angegriffenen auf, Strafanzeige zu stellen und die Fälle öffentlich zu machen: „Auch das Auswärtige Amt wird aufgefordert, aktiv zu werden, um das Vorgehen hier zu unterbinden und gegebenenfalls den Botschafter einzubestellen.“
In jüngster Zeit komme es oft vor, dass in die Türkei Reisende mit alevitischem und/oder kurdischem Hintergrund von der Grenzpolizei festgehalten und nach Schikanen zurück nach Deutschland geschickt würden. „Ankaras Augen und Ohren sind die Konsulate in Deutschland. Und natürlich auch die Arme“, so Yıldız. Es liege nahe, dass diese Daten auch den türkischen Behörden vermittelt werden, so Yıldız weiter.
Mehmet Dag arbeitet weiter am Gülen-nahen Gymnasium. Er fühlt sich beobachtet: „Jeder weiß, was ich in Hamburg mache. Vielleicht hat mich jemand verraten.“ Inzwischen traut er sich nicht mehr in die Moschee, die er seit Kindestagen besuchte. Sie wird vom türkisch-islamischen Ditib-Verband kontrolliert, der der türkischen Religionsbehörde untersteht. Wann er einen deutschen Pass bekommt, ist offen. Immerhin ist der Spielraum deutscher Behörden groß genug, um ihn irgendwann auch ohne Beleg der Entlassung aus der vorherigen Staatsbürgerschaft einzubürgern. „Vielleicht“, sagt Dag, „lenkt das Konsulat ja doch noch ein.“ Sein Blick aber verrät große Zweifel.
von
Günter Schwarz – 19.03.2017