Präsident Erdoğan provoziert weiter mit Referendum über EU-Beitrittsverhandlungen
(Ankara) Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan erwägt ein Referendum über die Beitrittsgespräche zur Europäischen Union und attackiert mit neuen Faschismus-Vorwürfen. Das Referendum könne nach der für den 16. April geplanten Volksabstimmung über das von ihm favorisierte Präsidialsystem stattfinden, sagte Erdogan nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Samstag in Antalya.
Danach könnte es das Referendum über die Beitrittsverhandlungen geben, und „was auch immer das Volk entscheidet, befolgen wir auch, müssen wir befolgen“, sagte er. „Seit 54 Jahren wartet die Türkei vor der Tür“, kritisierte der türkische Präsident mit Blick auf die im Jahr 1963 geschlossene Partnerschaft zwischen Ankara und der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.
Die im Ausland lebenden Türken können schon ab Montag über das Präsidialsystem abstimmen, das Erdoğan mehr Macht verleihen würde. Die Abstimmung wird überschattet von einer schweren Krise im europäisch-türkischen Verhältnis. Nicht auszuschließen sind Auseinandersetzungen zwischen Erdoğan-Gegnern und -Anhängern. Streit gibt es vor allem wegen Absagen von Wahlkampfauftritten türkischer Minister in Europa, nachdem zahlreiche Spitzenpolitiker klar dagegen Stellung bezogen haben. Erdoğan goss Öl ins Feuer, indem er europäischen Politikern wiederholt Nazi-Methoden vorwarf.
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte der „Welt am Sonntag“, Erdoğans Rhetorik mache ihn „fassungslos“. „Sie zerstört in kurzer Zeit mutwillig, was über Jahre an Integration in Deutschland gewachsen ist.“ Die Reparatur der Schäden werde Jahre dauern.
Am Sonntag machte Erdoğan erneut deutlich, dass er nicht auf die umstrittenen Vergleiche verzichten will. An die Adresse Europas gerichtet sagte er im Istanbuler Stadtteil Gaziosmanpasa: „Du nennst den Präsidenten der türkischen Republik einen Diktator und wenn wir zu denen Faschisten sagen, dann fühlen sich die Herren gestört.“ Zugleich erhob Erdoğan neue Vorwürfe: Er verwies unter anderem auf den Prozess in München um die NSU-Mordserie und sagte an die Adresse Deutschlands: „Ihr habt das noch immer nicht aufgeklärt. Ihr seid Faschisten, Faschisten!“
Am Samstag betonte Erdoğan zudem, wenn die EU erkläre, für eine Türkei mit Todesstrafe sei in der Union kein Platz, sei dies so. Er werde eine Entscheidung des Parlaments für die Todesstrafe bestätigen, sagte Erdoğan in Antalya. Nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 hat Erdoğan mehrfach die Wiedereinführung der Todesstrafe ins Spiel gebracht. Die EU hat deutlich gemacht, dass der Beitrittsprozess der Türkei damit beendet wäre.
Unterdessen sorgt ein Plakat gegen Erdoğan mit der Aufforderung darauf, ihn mit den eigenen Waffen zu schlagen und eine Erdoğan-kritische Demonstration im schweizerischen Bern, auf der auch Symbole der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK gezeigt wurden, für neue Spannungen. Erdoğans Sprecher Ibrahim Kalin forderte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, die Schweiz müsse aufhören, „Terrororganisationen“ zu unterstützen. Es sei nicht akzeptabel, dass PKK-Symbole gezeigt würden, zudem sei offen zum Mord an Erdoğan aufgerufen worden, kritisierte Kalin demnach weiter. Der Schweizer Botschafter in Ankara war, nachdem er bisher nicht verfügbar war, für Sonntagnachmittag ins türkische Außenministerium zitiert worden.
Die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland hat indessen ein Verfahren wegen öffentlichen Aufrufs zu Verbrechen oder Gewalttätigkeit eröffnet. Die Reaktion Ankaras erfolgte nach einer Kundgebung in Bern am Samstag. Dort hatten mehrere tausend Menschen für Frieden, Freiheit und Demokratie in der Türkei demonstriert. Zu sehen war dabei auch ein Transparent mit einem Porträt Erdoğans sowie eine auf ihn gerichtete Pistole. Darunter stand übersetzt: „Töte Erdoğan mit seinen eigenen Waffen“.
Das NATO-Mitglied Türkei ist seit 1999 Kandidat für den EU-Beitritt, seit 2005 wird darüber offiziell verhandelt. Geografisch gesehen zählen weit über 90 Prozent des Staatsgebietes der Türkei zu Asien.
von
Günter Schwarz – 27.03.2017