Gewichtiger Wahlkampfhelfer: Bill Clinton verhalf Boris Jelzin 1996 zur Wiederwahl. (Bild: Jim McKnight/Keystone)
Aber klar doch: Russische Desinformationstricks mit Unterstützung rechtspopulistischer Pateien in europäischen Wahlen ernten missmutige Kommentare. Da ist dann schnell die Rede von einer „Hetze gegen Russland“, und mehrfach kommt nicht zu Unrecht das Argument, dass die Amerikaner ja auch nicht besser seien.

Es ist klar und nicht zu bestreiten, die Amerikaner sind keineswegs besser. Aber es geht um etwas anderes. Der Hinweis richtet sich ganz allgemein gegen Ängste, die momentan überall in Europa verbreitet scheinen. Es ist die Sorge, dass die Hacker- und Troll-Eingriffe einer fernen Macht (diesmal: Russland) bei Volkswahlen (in den USA vermutlich zugunsten Trump geschehen und in Frankreich zugunsten Marine Le Pen und Deutschland ist derzeit zum Nutzen dee AfD so etwas im Gange) etwas Neues seien. Zahlreiche Bürger meinen, unsere alten Demokratien können durch solche Tricks zerstört werden. Dúrch Tricks, so zeigt es sich bei genauerer Betrachtung, die selber so alt wie die Demokratien selber sind.

Wählt richtig, sonst zahlt ihr

Klar ist, die USA agieren im gleichen Stil, denn man Russland aus den USA derzeit vorwirft – und das seit Jahrzehnten! Es gibt sogar Zahlen dazu. Sie wurden jüngst neu zusammengetragen und aufbereitet von einem Politologen der Carnegie-Mellon University in Pittsburgh: Dov H. Levin, so sein Name, sammelte alle Fälle, wo seit dem Zweiten Weltkrieg eine Supermacht bei Wahlen in einem anderen Staat hineingefunkt hatte. Resultat: In etwa einer von neun nationalen Regierungs- und Präsidentenwahlen kam es zu solch einem fremden Eingriff.

Dov Levin stieß auf 81 Fälle, in denen US-Behörden mitgemischt hatten. Und 36-mal wurden die Russen respektive die damalige Sowjetunion aktiv.

Die Strippenzieher in Washington oder Moskau taten dies durch diskrete Geldzahlungen an eine bestimmte Seite; durch personelle oder fachliche Unterstützung; durch Schmuddel-Propaganda; und notfalls auch mit der offenen Drohung, man werde Geldströme abschneiden, falls das Volk nicht wählt, wie es soll. Dabei ließ der Wissenschaftler sogar die Militärinterventionen oder Putschintrigen außen vor – also brutale Aktionen, wie sie etwa die Völker in der Tschechoslowakei 1968 oder in Chile 1973 erleben mussten.

3 Musterfälle

Und so lassen sich leicht Beispiele aufreihen für USA-Eingriffe in ganz normalen Wahlen.

Russland, 1996: Bei den Präsidentenwahlen droht dem amtierenden Kreml-Chef Boris Jelzin die Abwahl, die Kommunisten sind im Parlament bereits wieder stärkste Kraft. In dieser Lage landen unter anderem drei erfahrene Wahlkampfmanager aus dem Umfeld von US-Präsident Bill Clinton in Moskau: Sie drehen Boris Jelzins Wiederwahl-Bemühungen in eine Medienwalze amerikanischen Stils. Dick Morris, einer der wichtigsten Berater von Clinton, wird später verraten, dass der Präsident selber mindestens einmal pro Woche die Lage im russischen Wahlkampf analysierte – und dann gern persönlich zum roten Telefon griff, um Kollege Jelzin Kampagnenratschläge zu erteilen. Parallel dazu unterstützte der Internationale Währungsfonds die Regierung drei Monate vor dem Urnengang mit einer 10-Milliarden-Dollar-Geldspritze.

https://www.youtube.com/watch?v=nm-50K-XELY

Die US-Kampagne in Russland 1996 wurde bald von Hollywood verfilmt: In der Komödie «Spinning Boris» (2003) spielten Jeff Goldblum, Anthony LaPaglia und Liev Schreiber drei US-Spin-Doctors im Kreml-Wahlkampf.

Nicaragua 1990: Im Wahlkampf zwischen dem sandinistischen Kandidaten Daniel Ortega und der Oppositionsführerin Violeta Chamorro lässt die Regierung von Präsident George H. W. Bush rund 9 Millionen ins Land fliessen – in Form von «Demokratie-Hilfsmassnahmen», die aber primär der Wählerschaft von Chamorro zukommen. Diskret bezahlt die CIA knapp 500’000 US-Dollar an ausgewählte Nicaraguaner, damit diese zur Wahl heimreisen können. Laut Dov Levin streute die CIA zudem Informationen an die Medien, welche die Bestechlichkeit von Daniel Ortega unterlegen sollten.

Deutschland, 1953: Ein früher und anders gelagerter Fall: Hier setzte die US-Regierung aufs eigene Prestige, das im damaligen Westdeutschland noch viel grösser war. Offen warf sich Washington ins Wahlgefecht. Um den Wunschkandidaten Konrad Adenauer (CDU) gegen seinen Herausforderer Erich Ollenhauer (SPD) gut dastehen zu lassen, lud US-Präsident Dwight D. Eisenhower den Kanzler zu einer 12 Tage langen Reise durch Amerika ein. Es entstand eine bilderprächtige Sequenz, welche den Deutschen über alle Medien eine besondere Beziehung der Amerikaner zu Adenauer ans Herz legte. Den ganzen Sommer hindurch bekundeten US-Politiker und Behörden ihre Unterstützung für den alten Kanzler; und im September, kurz vor dem Urnengang, wandte sich Aussenminister John Foster Dulles zur Sicherheit explizit an die Deutschen: Eine Niederlage von Adenauer könnte desaströse Folgen haben.

Leicht ließen sich nun weitere Beispiele, weitere Tricks, mehr oder weniger elegante Interventionen auflisten: Italien 1948, Indonesien 1955, Israel 1992, Serbien 2000, Libanon 2009… Aber interessanter ist ohnehin eine andere Frage: „Was bringt’s?“

Besser offen als versteckt

Generell habe eine Parteinahme der USA den gewünschten Kandidaten öfter spürbar genützt, so ein Fazit des Politologen aus Pittsburgh. Die Wirkung sei zwar in der Regel klein gewesen, aber sie könne entscheidend sein: „However, such interventions often do swing elections.“

Wobei die Sache interessanterweise besonders effizient war, wenn sie offen erfolgte. Versteckte Aktionen verdampften eher. Dazu verweist Levin „en passant“ auf eine andere Studie mit einem bemerkenswerten Ergebnis: Offene Interventionen ausländischer Mächte wirken polarisierend. Sie stoßen zwar die Anhänger des gegnerischen Kandidaten ab – aber: Bei den Anhängern des von außen gestützten Politikers führen sie dazu, dass die besagte fremde Macht positiver gesehen wird.

Wenn also solche Win-win-Situationen entstehen, hat nun wirklich keine Großmacht Grund, sich zurückzuhalten bei derartigen Kabalen.

Und womöglich dreht sich die Sache sogar etwas im Kreis: Berater Dick Morris äußerte jedenfalls die Vermutung, dass Bill Clintons Unterstützung für Jelzin einen russischen Nachwuchspolitiker damals enorm wütend machte: Wladimir Putin. Zwanzig Jahre später habe er mit ähnlichen Waffen zurückgeschlagen – jetzt gegen Bill Clintons Ehefrau, Hillary Clinton.

  • Dov H. Levin: When the Great Power Gets a Vote: The Effects of Great Power Electoral Interventions on Election Results», in: «International Studies Quarterly, 60/2016.

von

Günter Schwarz – 01.04.2017