Beängstigend – der Rechtsruck der dänischen Sozialdemokraten
In einem Beitrag in „Information“ schlägt der sozialdemokratische Fraktionschef im Folketing, Henrik Sass Larsen, Töne an, die man zwar von der rechtspopulistischen und ausländerfeindlichen Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei) gewohnt ist und die man keineswegs von einem Sozialdemokraten erwartet. Larsen spricht von „Masseneinwanderung“ und „Widerstand“ in Dänemark. Seine Rhetorik beängstigt geradezu – und zeugt zugleich davon, wie normal es in der dänischen Politik geworden zu sein scheint, sich von diffusen Ängsten lenken zu lassen – und mit ihnen Menschen zu manipulieren.
Ein Volk, das bedroht wird und sich deshalb auf den Zusammenhalt besinnen muss – unter der Führung desjenigen, der die Bedrohung am klarsten ausmacht und bekämpfen zu wollen vorgibt, das ist das gängige Rezept für nationalistischen oder völkischen Populismus. Der zieht, aller Lehren aus der Geschichte zum Trotze, immer wieder. Zumal, wenn er von den Protagonisten als „reine Vernunft“ oder „Rücksicht auf den Willen des Volkes“ deklariert wird – und Kritiker als Träumer oder, wie es Henrik Sass Larsen und die europäische äußerste Rechte traditionell tun, als „utopische Humanisten“ oder gar „Gutmenschen“ abgetan werden.
Dass es diese tumben Bewegungen, diese ignorante Rhetorik gibt, selbst im Jahr 2017 noch, in dem wir auf einen Wissensschatz zurückreifen können wie nie zu vor in der Menschheitsgeschichte, das wussten wir. Dass aber ausgerechnet eine Sozialdemokratische Partei in einem durch und durch sozialdemokratisch geprägten Land auf diese Weise Stimmung macht und um Stimmen wirbt, das schockiert schon. Schon aus dänischer Sicht ist es eine frappierende Wandlung, die die Partei in den vergangenen Jahren unternommen hat. Aus deutscher Sicht ist sie kaum zu glauben.
Der deutsche Zeigefinger
Ja, es ist ein kritisches Unterfangen, auf dänische Vorgänge mit dem deutschen Zeigefinger zu zeigen. Doch erstens halten wir nichts von Nationaldünkel und von der Auffassung, dass Ausländer dankbar die Klappe zu halten haben – weder in Deutschland, Dänemark noch sonst irgendwo auf der Welt – und zweitens ist die Sozialdemokratie eine internationale Bewegung, die ihren Ursprung in Deutschland in der gescheiterten Märzrevolution von 1848 hatte. Zu dieser Zeit entstanden die ersten Arbeitervereinehatte. Und deshalb wird jetzt ungeniert der „deutsche“ Zeigefinger ausgepackt!
In einem Beitrag in der Tageszeitung „Information“ greift Henrik Sass Larsen einen Humanismus an, der sich die „Aufhebung der Nationalstaaten“zum Ziel gesetzt habe und „durch den globalen Handel finanziert“ werde. Das weckt in den Deutschen ganz unangenehme Assoziationen. Die Sozialdemokraten hätten, schreibt Sass Larsen, die Wohlfahrtsstaaten „“mit primär nationalem Ausgangspunkt“ aufgebaut. Die „Humanisten“ würden diese Wohlfahrtsstaaten mit ihrer „rigiden“ Interpretation von Menschenrechtskonventionen „aufheben“ wollen.
Diese Meinung kann man natürlich haben, nur verwundert es doch, dass sie von jemandem kommt, der sich als Sozialdemokrat bezeichnet und meint, die Sozialdemokratie gegen den Humanismus und die zu rigide Umsetzung der Menschenrechte verteidigen zu müssen. „Völker, hört die Signale! Auf zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht“ lautet doch der Schlachtruf der internationalen Arbeiterbewegung schlechthin. Für Sass offenbar eine zu überwindende historische Fußnote der sozialdemokratischen Geschichte. Die deutschen Väter der Sozialdemokratie, Ferdinand Lassalle, August Bebel und ebenso die Gründer der dänischen Socialdemokraterne Louis Pio, Harald Brix und Paul Geleff würden sich in ihren Gräbern umdrehen.
Parolen von der Bedrohung von außen
Weiter spricht Sass von einer „Fiaskoeinwanderung“, die „brandgefährlich“ sei und die USA ins „Chaos“ gestürzt habe. Völlig unerwähnt lässt er dabei, dass Dänemark wohlhabender ist als je zuvor. „Die Idee des utopischen Humanismus von freier Einwanderung und globalen Rechten für Flüchtlinge hat zu einer Masseneinwanderung geführt, die die Volkswirtschaften der westlichen Länder und ihre politischen und sozialen Strukturen nicht tragen können“, postuliert er in astreiner „Rechtsaußen-Rhetorik“. Dabei lässt er geflissentlich außer Acht, dass von einer freien Einwanderung in den westlichen Ländern überhaupt keine Rede sein kann. Niemand kann einfach so von einem „nicht-westlichen“ Land nach Dänemark oder sonst wohin in den Westen übersiedeln. Und dass die heimische Wirtschaft geradezu nach neuer Arbeitskraft schreit, vermeidett Sass gezielt zu erwähnen, um den Mythos von der Bedrohung von außen weiter zu befeuern und seine und die Position der neuen dänischen Sozialdemokratie als Erlöser der bedrohten dänischen Arbeiterschicht zu untermauern.
Aus der Angst eine Tugend machen
Geschickt distanziert sich Sass zugleich vom „Unsinn des rechten Flügels“ – aber nur rhetorisch. Inhaltlich übernimmt er dessen Argumente und Manipulationsstrategie eins zu eins. Er macht aus der Angst eine trügerische Tugend, erklärt sie zum Volkswillen. Anstatt mutig für die völkerverbindende sozialdemokratische Ideologie einzustehen oder, noch mutiger, der Realität ins Auge zu blicken und diese für alle zum Besten gestalten zu wollen, hängt Sass die Fahne der Sozialdemokratie in den Wind und greift nach jeder Gelegenheit, derjenige zu sein, der gemeint ist, wenn es irgendwo in Dänemark heißt „endlich sagt’s mal einer.“
Seine Strategie ist klar wie „Klossbrühe“. Der Dansk Folkeparti und den anderen bürgerlichen Parteien soll das Wasser dort abgegraben werden, wo sie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten besonders reich ernten konnten. Am rechten Rande, dort wo die Vorurteile blühen, das historische Unwissen floriert und die Dummheit ihre Heimat hat.
Doch was Sass in Kauf nimmt ist, dass er mit seinen Äußerungen die Stimmung in der Bevölkerung nicht nur aufnimmt, um dann, wie oben beschrieben, die bestmögliche Politik zu machen – sondern dass er die Stimmung weiter schürt und er, seine Partei und seine Wähler vergessen, dass Dänemark Wohlstand, Wohlfahrt und Frieden mit Sicherheit nicht Abschottung, Intoleranz, Hochmut und Eigensinn zu verdanken hat.
von
Cornelius von Tiedemann / Günter Schwarz – 02.04.2017