Nach Antisemitischen Vorfällen: Jüdischer Schüler verlässt Berliner Schule
(Berlin) – Es ist kaum zu glauben, aber ist Deutschland schon wieder so weit in der Regie von antisemitischem Gedankengut, dass nicht einmal mehr Kinder wegen ihrer religiösen Zugehörigkeit in der Schule sicher vor Anfeindungen sind. Ein Fall aus der Bundeshauptstadt lässt aufhorchen und alle Alarmglocken schrillen! In einem offenen Brief hat sich die Leitung einer Berliner Gemeinschaftsschule entsetzt über einen antisemitischen Vorfall an ihrer Schule gezeigt.
Ein 14-jähriger jüdischer Mitschüler hat die Gesamtschule Friedenau verlassen, nachdem ihn Mitschüler wegen seiner Religionszugehörigkeit mehrfach beleidigt und schließlich angegriffen haben sollen. Die Mutter des Jungen hatte der englischsprachigen Zeitung „The Jewish Chronicle” von dem Vorfall berichtet. Auch der „Tagesspiegel” berichtete darüber.
Die Schulleitung teilte auf ihrer Internetseite mit, dass sie gegen die mutmaßlichen Täter Strafanzeige erstattet habe. Außerdem wolle sie schulische Ordnungsmaßnahmen gegen die Jugendlichen einleiten. Laut „Tagesspiegel” haben an der Schule etwa 75 Prozent der Schüler eine andere Muttersprache als Deutsch, viele kommen aus türkischen oder arabischen Familien.
Der jüdische Schüler soll bereits vor einigen Monaten von Mitschülern beleidigt worden sein, nachdem er von seiner Religionszugehörigkeit berichtet hatte, wie „The Jewish Chronicle” schrieb. „Du bist eigentlich ein cooler Typ, aber ich kann nicht mit dir befreundet sein”, soll einer der Mitschüler gesagt haben, sowie: „Juden sind alle Mörder.”
Schulleiter Uwe Runkel bestätigte dem „Tagesspiegel” lediglich den ersten Teil der Aussage. Dass der Satz „Juden sind alle Mörder“ gefallen sei, wisse er allerdings nicht. Die Schule habe nach diesem Vorfall sofort die Eltern informiert, und Lehrer und Sozialarbeiter hätten den Fall in der Klasse besprochen. Der Junge, der die Beleidigung ausgesprochen hatte, habe die Schule inzwischen verlassen, weil er weggezogen sei, sagte Runkel
Vor rund zwei Wochen hatten den Berichten zufolge dann zwei Mitschüler den 14-Jährigen an einer Bushaltestelle in den Schwitzkasten genommen und mit einer Spielzeugpistole Plastikteile auf ihn geschossen. „Leider ist das kein Einzelfall, wir hören immer wieder von solchen Angriffen”, sagte Levi Salomon, Sprecher und Koordinator des Vereins Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus, dem „Tagesspiegel”.
Nach dem gewalttätigen Vorfall an der Bushaltestelle hat die Schule Anzeige bei der Polizei erstattet. Einer der Täter war offenbar kurz zuvor von einer anderen Schule verwiesen worden. Nun müssen wohl beide Täter die Schule verlassen.
Die Eltern des Opfers nahmen ihren Sohn direkt nach der Tat von der Schule. „Ich bedauere sehr, dass der Junge uns verlassen hat und natürlich auch, dass so etwas überhaupt passiert ist“, sagt Runkel. Laut dem Bericht in der „Jewish Chronicle“ sind die Eltern unzufrieden mit der Reaktion der Schule. Der Schulleiter habe zu spät reagiert. Das weist Runkel zurück: „Nach dem ersten Vorfall haben wir die Sache sofort aufgearbeitet. Jetzt haben wir leider nicht mehr die Möglichkeit, dem Jungen zu vermitteln, dass er hier sicher ist. Aber wir werden uns weiter mit dem Thema beschäftigen, und für die Täter wird es Konsequenzen haben.“
Die Schule, die zum Netzwerk „Schule ohne Rassismus“ gehört, führe regelmäßig in allen Klassen Workshops zu Mobbing und Diskriminierung durch. Inzwischen habe die Schule die Initiative Salaam-Shalom angesprochen, die sich mit Antisemitismus und Islamophobie beschäftigt und die Antidiskriminierungsstelle der Senatsverwaltung kontaktiert. „Wir haben auch ein Angebot vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus erhalten, dass wir in die Überlegungen zum Umgang mit den Ereignissen einbeziehen werden“, sagte Runkel. Er hat nun einen offenen Brief geschrieben, der auf der Schul-Homepage veröffentlicht ist. „Wir möchten unser Bedauern und Entsetzen kundtun, dass ein Schüler an unserer Schule Antisemitismus erfahren musste“, heißt es dort.
Die Eltern des Jungen sind offenbar noch wegen einer anderen Sache unzufrieden. Die Großeltern des 14-Jährigen sind Holocaust-Überlebende und haben als Zeitzeugen in der Klasse des Jungen gesprochen. Die Familie wollte das Projekt auf andere Klassen ausweiten. „Ich stand dem positiv gegenüber, aber wollte erst ein Konzept mit dem Schulteam dazu erarbeiten“, sagte Runkel. „Das ging der Familie wohl zu langsam.“
von
dpa / Günter Schwarz – 02.04.2017