Keine Person wird mehr mit der russischen Oktober-Revolution von 1917 assoziiert als Wladimir Iljitsch Lenin, der am 16. April 1917 nach einer Reise aus seinem Schweizer Exil am Finnländischen Bahnhof in Petrograd (St. Petersburg) ankam.

Dafür ist er allerdings über das Territorium des damaligen Kriegsgegners, des Deutschen Kaiserreichs gereist. Was waren die Gründe dafür? Diese und andere Fragen sowie die Sicht der russischen Geschichtsschreibung auf die damaligen Ereignisse erörtert der Historiker Michail Fjodorow.

Mit maßgeblicher Hilfe der Deutschen gelangte Lenin am 16. April 1917 nach Petersburg und begann mit der Parole „Brot und Frieden“ die sozialistische Revolution, die sich gegen die bürgerliche Februar-Revolution, die den Zar bereits hinweggefegt und am 3. März 1917 zur Abdankung gezwungen hatte.

Mit Lenin verschärft sich der Konflikt zwischen Radikalen und Gemäßigten in der bürgerlichen Regierung, die nicht bereit ist einen Sonderfrieden mit den Kaiserreichen Deutschland und Österreich abschließen zu wollen, und was die radikalen Sozialisten und Kommunisten fordern, um das Leid des Volkes zu beenden.

Der Augenblick der großen sozialistischen Oktober-Revolution am 25. Oktober 1917 (nach dem bei uns gebräuchlichen gregorianischen Kalender entspricht das dem 7. November) schien dann auch zunächst ein so unbedeutendes Ereignis zu sein, dass die Mehrheit der Bürger Petrograds ihn nicht einmal wahrnahm. Theater und Restaurants waren wie immer geöffnet, und die Straßenbahnen fuhren wie üblich.

Auch als ein Kellner in einem Lokal nahe dem Winterpalast seinen Gast aufforderte, sich in den hinteren Bereich zu setzen, weil er eine Demonstration auf dem großen Platz erwartete, verbarg sich hinter solch Sorge nichts Ungewöhnliches. Proteste und Streiks, selbst gewalttätige Auseinandersetzungen auf offener Straße waren zu jener Zeit nichts, was einen Bürger der russischen Hauptstadt mehr als üblich aus der Ruhe bringen musste.

In sechs Stunden hätte der ganze Spuk vorbei sein sollen – die Einnahme des Winterpalais’, des Sitzes der provisorischen Regierung des Landes, durch die bolschewistischen Truppen und ihre Anhänger. Doch es kam zu einer ganzen Reihe von dilettantischen Verzögerungen. Doch nicht einmal Dilettantismus konnte die Machtergreifung der Bolschewiki verhindern.

Je länger sich der Aufstand hinzog, umso größer wurde die Angst der wenigen Soldaten, die man zur Verteidigung des Palais’ aufgeboten hatte. Das wurde schon deutlich, als der Panzerkreuzer „Aurora“ um 21.40 Uhr einen sogenannten Blindschuss abgab, komplett harmlos, aber besonders laut. Sogleich warfen sich die Minister im Winterpalais auf den Boden, während die Mitglieder des Frauenbataillons hysterisch schreiend herumrannten.

Und als nach 15 Stunden schließlich die Aufständischen in den Palast eindrangen, hatten viele der verteidigenden Soldaten ihre Stellungen verlassen, schlicht weil sie Hunger hatten. So wurde eine Regierung gestürzt, die längst abgewirtschaftet hatte.

Der Erfolg der Bolschewiki wurde in Frankreich von Meutereien und in Deutschland von Streiks begleitet. Die SPD spaltete sich. Die politische Linke trieb 1918/19 zur Revolution in Deutschland und scheiterte. Einige Jahre später nutzten die Nazis in Deutschland – als eine Bewegung gegen den revolutionären Kommunismus – die Gunst der Stunde zu ihrer Machtergreifung.

von

Günter Schwarz – 16.04.2017