Erdoğan hat das Referendum in der Türkei „gewonnen“, das ihm noch mehr Macht geben wird. Laut vorläufigem Ergebnis entfielen 51,3 Prozent der Stimmen auf „Ja“. In Deutschland sprachen sich 63,1 Prozent der wahlberechtigten Türken, die beim Referendum abstimmten, für die Verfassungsreform aus.

Die Türkei hält das Flüchtlingsabkommen mit der EU trotz der Spannungen im Verhältnis zur Union und wiederholter gegenteiliger Drohungen noch ein. Dennoch bleibt das Verhältnis der EU zur Türkei unverändert angespannt.

Neuigkeiten zur Türkei und zu Erdoğan

22. April: Türkei: Entlassung zweier HDP-Abgeordneter aus Untersuchungshaft

Ein türkisches Gericht hat die Haftentlassung zweier Abgeordneter der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP angeordnet. Meral Danis Bektas werde nach fast drei Monaten in Untersuchungshaft freigelassen, entschied das Gericht in Istanbul nach Angaben der Tageszeitung „Hürriyet“ am Freitagabend.

Für Bektas gelte allerdings ein Reiseverbot. Nach einem Bericht des Nachrichtenportals „Bianet“ wurde auch die HDP-Abgeordnete Nursel Aydogan am frühen Freitagabend nach fast sechs Monaten in Untersuchungshaft unter Auflagen freigelassen.

Die Staatsanwaltschaft wirft Bektas und Aydogan unter anderem «Mitgliedschaft in einer Terrororganisation» vor. Zurzeit sitzen noch elf HDP-Abgeordnete in Untersuchungshaft, darunter auch die Doppelspitze der Partei, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag.

EU setzt wohl Abbruch der Beitrittsgespräche auf Tagesordnung

Nach dem Referendum in der Türkei setzt die EU den zumindest vorläufigen Abbruch der Beitrittsgespräche nach Informationen der „Welt“ auf die Tagesordnung. Die Zeitung beruft sich auf „übereinstimmende Informationen aus hohen EU-Diplomatenkreisen“.

Die EU-Außenminister treffen sich am 28. und 29. April in Malta. Dort sollen sie beraten, ob die Türkei gegen Leitlinien der EU-Beitrittsgespräche verstößt.

21. April: Bericht: 18 Deutsche seit Putschversuch in der Türkei festgenommen

Mindestens 18 Deutsche sind laut einem Bericht seit dem Putschversuch im vergangenen Sommer in der Türkei festgenommen worden. Fünf von ihnen seien derzeit noch in Haft, berichtet die „Bild“-Zeitung (Samstagsausgabe)unter Berufung auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen. Einige der Festgenommenen hätten neben dem deutschen auch einen türkischen Pass.

Gegen mindestens 17 Deutsche bestehen Ausreiseverbote der türkischen Behörden, wie die Zeitung aus der Stellungnahme des Auswärtigen Amts zitierte. Allerdings sei nicht auszuschließen, „dass es weitere Fälle gibt“. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu rief die Bundesregierung auf, alles zu tun, „um deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger vor Willkür und Repressalien durch türkische Behörden zu schützen“.

Opposition kämpft gegen Referendum

Die größte türkische Oppositionspartei CHP will die Ablehnung ihres Antrags auf Annullierung des Verfassungsreferendums durch die Wahlbehörde nicht hinnehmen. Der CHP-Vizevorsitzende und Abgeordnete Bülent Tezcan kündigte am Freitag an, vor den Staatsrat in Ankara zu ziehen, das höchste türkische Verwaltungsgericht. Ministerpräsident Binali Yıldırım sagte dazu nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, es stehe jedem frei, Gerichte anzurufen. Kein Gericht könne Beschlüsse der Wahlkommission aber kippen. „Die Wahlkommission trifft die endgültige Entscheidung“, sagte Yildirim. „Es gibt darüber hinaus keine Rechtsmittel.“ 

Tezcan sagte nach Angaben der Nachrichtenagentur DHA, die CHP wolle beim Staatsrat beantragen, dass die umstrittene Entscheidung der Wahlkommission, nicht von ihr gestempelte Stimmzettel und Umschläge als gültig zu zählen, für nichtig erklärt wird. Zugleich wolle die CHP beantragen, dass ein amtliches Endergebnis zunächst nicht verkündet werde. Yıldırım sagte: „Das sind nutzlose Bemühungen. Niemand hat das Recht, den Menschen die Zeit zu stehlen.

Ankara hält Flüchtlingspakt mit der EU ein

Die Türkei hält das Flüchtlingsabkommen mit der EU trotz der Spannungen im Verhältnis zur Union und wiederholter gegenteiliger Drohungen ein. Die Zahl der Migranten, die aus der Türkei zu den griechischen Inseln im Osten der Ägäis übersetzen, sei weiterhin niedrig, teilte der griechische Flüchtlingskrisenstab am Freitag mit. In den ersten zwanzig Apriltagen seien im Durchschnitt 41 Menschen auf den Inseln angekommen. Von Donnerstag auf Montagmorgen seien sogar nur 26 Flüchtlinge registriert worden.

Insgesamt haben vom Jahresbeginn bis zum 21. April 5.078 Migranten und Flüchtlinge übergesetzt. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren gut 94.000 Menschen angekommen.

Die Anzahl der ankommenden Migranten ging von April 2016 an schlagartig zurück, als die Balkanländer die Balkanroute schlossen und der EU-Türkei-Flüchtlingspakt in Kraft trat. Dieses Abkommen sieht vor, dass die Türkei die Flüchtlinge zurückhält und die EU alle Migranten, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen und kein Asyl erhalten, zurückschicken kann.

Erdoğan: „Die Entscheidung der Wahlbehörde ist endgültig

Nach dem türkischen Justizminister hat auch Staatschef Recep Tayyip Erdoğan Bemühungen zur Annullierung des umstrittenen Verfassungsreferendums als aussichtslos bezeichnet. „Die Entscheidung der Wahlbehörde ist endgültig. Diese Sache hat sich erledigt“, sagte er nach Angaben des Sender AHaber der englischsprachigen Ausgabe des Kanals. Die Sache liege nicht im Zuständigkeitsbereich des Verfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Zuvor hatte Justizminister Bekir Bozdağ Beschwerden der Opposition als aussichtslos erklärt.

Am Wahltag waren zahlreiche Manipulationsvorwürfe erhoben worden. Im Zentrum der Kritik stand die während der laufenden Abstimmung getroffene Entscheidung der Wahlkommission, auch nicht von ihr gestempelte Stimmzettel als gültig zu werten. Die Kommission hatte am Mittwoch den Antrag der Opposition auf Annullierung des Referendums abgelehnt.

20. April: Erdoğan: Zustimmung beim Referendum macht Deutschland „wahnsinnig“

Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan führt die hohe Zustimmung beim türkischen Referendum in Ländern wie Deutschland auch auf die Auftrittsverbote für seine Minister dort zurück. „Seht, was passiert ist“, sagte Erdoğan der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu vom Donnerstag zufolge dem Sender Al-Dschasira. „Mit Zwang und Gewalt kannst Du den Willen nicht unterdrücken.“ Er verwies auf die Ergebnisse unter anderem in Deutschland, den Niederlanden und Österreich, wo bei dem Referendum 63, 71 beziehungsweise 73 Prozent für das von Erdoğan angestrebte Präsidialsystem gestimmt hatten.;

Erdoğan sagte, diese Staaten hätten sich ein anderes Ergebnis gewünscht. „Dass in Deutschland die Ja-Stimmen so hoch ausgefallen sind, hat sie wahnsinnig gemacht. Dasselbe hat sich auch in Österreich und Holland zugetragen.“ Erdoğan kritisierte: „Sie haben gemeinsam mit ihren Abgeordneten persönlich Nein-Kampagnen geführt. Dass man das, was sie getan haben, als faschistische Repression oder Nationalsozialismus bezeichnet, stört sie sehr.“ Der Präsident fügte hinzu: „Wir sagen ihnen jetzt, dass sie demokratisch sein sollen. Solange sie demokratisch sind, gibt es keine Probleme.“

Erdoğan übte auch Kritik an Bundesaußenminister Sigmar Gabriel. Gabriel hatte der „Bild-Zeitung nach dem Referendum gesagt, die von Erdoğan ins Spiel gebrachte Wiedereinführung der Todesstrafe beim EU-Beitrittskandidaten wäre „gleichbedeutend mit dem Ende des Traums von Europa“. Erdoğan sagte: „Dann nehmt Ihr uns eben nicht auf.“ Gabriels Äußerungen nannte er „unerhört“ und kündigte an, sie zu ignorieren. „Ich achte nicht darauf, was Sigmar Gabriel sagt, und nicht darauf, was die anderen sagen.“ Nur das Parlament und das Volk könnten über die Wiedereinführung der Todesstrafe entscheiden.

Razzia bei oppositionellem Online-Medium in Türkei

Nach dem umstrittenen Referendum in der Türkei hat die Polizei das Büro eines oppositionellen Online-Mediums durchsucht und dessen Chefredakteur festgenommen.

Ali Ergin Demirhan werde unter anderem vorgeworfen, das Ergebnis des Referendums über ein Präsidialsystem nicht anzuerkennen, teilte das von linken Aktivisten betriebene Medium „sendika.org“ am Donnerstag mit. Weitere Vorwürfe seien Volksverhetzung sowie der Aufruf über Soziale Medien zum Protest. Bei der Durchsuchung des Büros in Istanbul habe die Polizei Demirhans Computer und Mobiltelefon beschlagnahmt.

Erneut Proteste gegen Verfassungsreferendum in der Türkei

In Istanbul ist es am vierten Abend in Folge zu Protesten gegen das Verfassungsreferendum von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan gekommen. Im zentralen Stadtteil Besiktas demonstrierten rund 1.500 Menschen friedlich gegen Erdoğan und gegen die Wahlkommission, wie ein dpa-Reporter berichtete. Demonstranten skandierten unter anderem „Mörder, Dieb, Erdoğan“. Der Wahlkommission – die zuvor Anträge der Opposition auf Annullierung des Referendums abgelehnt hatte – warfen sie Parteilichkeit vor. Auch in anderen Städten des Landes war zu Protesten aufgerufen worden.

19 April: Berichte: Antrag auf Annullierung von Referendum abgewiesen

Nach dem umstrittenen Sieg von Staatschef Recep Tayyip Erdoğan beim Referendum in der Türkei hat die Wahlkommission Anträge der Opposition auf Annullierung der Abstimmung zurückgewiesen. Zehn Mitglieder der Kommission stimmten am Mittwoch gegen die vor allem von den beiden größten Oppositionsparteien CHP und HDP am Vortag eingebrachten Anträge, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Nur ein Mitglied der Wahlkommission habe das Ansinnen der Opposition unterstützt.

Die beiden größten Oppositionsparteien – die kemalistische CHP und die pro-kurdische HDP – sowie die nicht im Parlament vertretene Vaterlandspartei hatten die Annullierung wegen zahlreicher Manipulationsvorwürfe beantragt. Die Nachrichtenagentur DHA berichtete, auch Anträge von Einzelpersonen zur Annullierung des Referendums vom Sonntag habe die Wahlkommission abgelehnt. Die Begründung ihrer Entscheidungen wollte die Kommission nachreichen. 

CSU fordert Aussetzung der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt hat sich nach dem knappen Ausgang des Türkei-Referendums dafür ausgesprochen, die  EU-Beitrittsgespräche auszusetzen. „Dies wäre konsequent“, sagte  Hasselfeldt der „Neuen Osnabrücker Zeitung. Die Türkei  habe sich für einen Weg entschieden, der weg von Europa führe. Dennoch bleibe die Türkei nicht nur geographisch Nachbar von Europa.  Sie sei als NATO-Partner und wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den IS-Terrorismus unverzichtbar, sagte die CSU-Politikerin.

18. April: Putin gratuliert Erdoğan zu Erfolg bei Verfassungsreferendum

Nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum in der Türkei hat der russische Staatschef Wladimir Putin dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zum Sieg des Ja-Lagers gratuliert. Putin habe Erdoğan am Dienstag seine Glückwünsche in einem Telefonat ausgesprochen, meldete die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf das Umfeld des Präsidenten. Der Kreml bestätigte, dass Putin zum „erfolgreichen Ablauf“ des Volksentscheids gratuliert habe.

Die beiden Staatschefs hätten auch die Notwendigkeit betont, die gemeinsam vermittelte Waffenruhe im Bürgerkriegsland Syrien einzuhalten, meldete Anadolu. Demnach hoben Putin und Erdoğan zudem die Bedeutung einer Normalisierung der Beziehungen ihrer beiden Länder hervor.

Das Verhältnis zwischen Ankara und Moskau wird immer noch vom Abschuss eines russischen Militärflugzeugs durch die türkische Armee im türkisch-syrischen Grenzgebiet im Jahr 2015 belastet. Nach dem Referendum rechnen einige Experten allerdings damit, dass sich die Türkei weiter von der EU entfernt und sich in der Folge Russland annähern könnte.

Türkei-Referendum: Warum stimmten die Deutsch-Türken für Erdoğan?

Auch zwei Tage nach dem Votum über die türkische Verfassungsänderung wurde am Dienstag noch nach Ursachen für das Abstimmungsverhalten – speziell in Deutschland – gesucht. Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland führte das Ergebnis auf ein Gefühl der Ausgrenzung bei vielen Türken zurück. „Sie wollten dadurch Protest zum Ausdruck bringen gegen das, was sie seit Jahrzehnten aus ihrer Sicht hier empfinden“, sagte er im Südwestrundfunk.

Die Grünen-Abgeordnete Deligöz zeigte hingegen wenig Verständnis – vor allem für die jungen Türken, die für Erdoğan  autokratische Ziele gestimmt haben. Da sei „viel Dummheit und Unwissenheit“ im Spiel. Diese Generation bekomme einen „Traum vom Osmanischen Reich über Sitcoms und Filme im Fernsehen vermittelt“ und glaube, eine Türkei verteidigen zu müssen, die es so gar nicht gibt, sagt Deligöz. Den jungen Menschen fehle historisches Wissen und genau diese Unwissenheit sei im Wahlkampf auch instrumentalisiert worden.

Referendum: „Ja“-Stimmen der Deutsch-Türken entfachen Integrationsdebatte

Wegen der starken Unterstützung vieler Deutsch-Türken für das Verfassungsreferendum in der Türkei warnen Politiker vor Integrationsproblemen. „Die jetzige Situation ist auch eine Belastung des Integrationsprozesses hier in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen“, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Sie warnte vor einer Spaltung der türkischen Gemeinde in Deutschland. „Es ist jetzt mehr denn je Besonnenheit gefragt.“

Grünen-Chef Cem Özdemir sieht die in Deutschland lebenden Türken aus dem „Ja“-Lager in Erklärungsnot. „Ein Teil der Deutschtürken muss sich kritische Fragen gefallen lassen“, sagte er am Dienstag im ARD-Morgenmagazin. Sie genössen in Deutschland die Vorteile der Demokratie, richteten in der Türkei aber eine Diktatur ein. „Wir müssen über Versäumnisse der Integrationspolitik reden“, sagte der Schwabe mit türkischen Wurzeln.

Die Deutsch-Türken haben aus Sicht des Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoğlu, auch aus Protest das Präsidialsystem Erdoğans unterstützt. „Sie wollten dadurch Protest zum Ausdruck bringen gegen das, was sie seit Jahrzehnten aus ihrer Sicht hier empfinden“, sagte Sofuoglu dem Südwestrundfunk. „Dass sie sich diskriminiert fühlen, dass sie sich ausgegrenzt fühlen, hat, denke ich, zu der ganzen Diskussion vor dem Referendum und den Spannungen zwischen Europa und der Türkei geführt.“ Erdoğan habe das sehr polemisch aufgegriffen und Europa und Deutschland als Feindbild genommen. Bei der Integration von Türken in Deutschland müsse „auf jeden Fall einiges nachgebessert werden“, sagte Sofuoğlu.

von

Günter Schwarz – 23.04.2017