Gestern war der 102. Jahrestag des Beginns des so genannten Armenischen Völkermordes. Bis zu 1,5 Millionen Armenier starben in den letzten Jahren des Osmanischen Reichs. Die Trauernden fordern die türkische Regierung auf, die Ereignisse als Genozid anzuerkennen.

Am 24. April 1915 nahmen die osmanischen Sicherheitsbehörden in Istanbul mehr als 230 armenische Intellektuelle fest und deportierten diese. In den darauf folgenden Monaten organisierten die unter der Führung der nationalistischen Jungtürken stehenden Behörden des Osmanischen Reiches eine systematisch organisierte Kampagne zur Deportation der armenischen Bevölkerung des alten Vielvölkerreiches.

Dabei kamen bis zu 1,5 Millionen Armenier ums Leben. Neben unmittelbar durch Angehörige der Sicherheitsbehörden veranlassten Verbrechen trugen extreme Witterungsverhältnisse, Seuchen und Angriffe vonseiten marodierender Banden und Milizen zu der hohen Opferzahl bei. Nur wenige Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte wurden in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg für die Übergriffe belangt.

Diplomaten und Offiziere des Deutschen Reiches, das mit den Osmanen verbündet war, nahmen wie viele weitere westliche Beobachter die Ereignisse zur Kenntnis. Einige externe Beobachter sprachen bereits damals von einem Völkermord. Die Führung in Berlin unternahm jedoch nichts, um die Vertreibung aufzuhalten. Im Gegenteil: Die deutsche Regierung nahm auch einen möglichen Genozid bewusst in Kauf, um die osmanischen Herrscher an ihrer Seite zu halten.

Erinnerung an Ereignisse von 1915/16 in der Türkei lange Zeit strafrechtlich verfolgt

Die Türkei weigert sich bis heute, die Ereignisse als Völkermord einzustufen und als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches die Verantwortung dafür zu übernehmen. In Ankara spricht man von wechselseitigen Gräueltaten zwischen türkischen Einheiten und armenischen Freischärlern, die mit dem russischen Kriegsgegner im Osten kollaboriert hätten. Nachdem über mehrere Jahrzehnte hinweg die Ansprache der Ereignisse in der Türkei als „Beleidigung des Türkentums“ strafrechtlich geahndet wurde, bot die Regierung erstmals Mitte der 2000er Jahre den Armeniern an, eine gemeinsame Historikerkommission zu bilden. Armenien wies dieses Ansinnen zurück und hält das Vorliegen eines Genozids für hinreichend erwiesen.

Der Tag, an dem die osmanische Polizei die armenischen Intellektuellen verhaftete, gilt seit dieser als Gedenktag an den in weiten Teilen der internationalen Gemeinschaft so bezeichneten Armenischen Völkermord.  

Auch in diesem Jahr gedenken wieder weltweit viele Menschen der grausamen Ereignisse von vor 102 Jahren. Menschenrechtsorganisationen und Aktivisten versammelten sich beispielsweise vor dem alten Gefängnis im Istanbuler Stadtteil Sultanahmet, in dem vor 102 Jahren die armenischen Intellektuellen vor ihrer Deportation inhaftiert waren. Sie forderten die türkische Regierung auf, die Ereignisse als Völkermord anzuerkennen, sich zu entschuldigen und Reparationszahlungen zu leisten. Bislang gab es lediglich im Jahr 2014 eine Erklärung der Anteilnahme vonseiten des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan für die Opfer der Deportation. Zu einem weitergehenden Schritt vermochte auch er sich bis dato nicht durchzuringen.

 

von

Günter  Schwarz – 25.04.2017