(Berlin) – Knapp zwei Jahre Zeit bleiben für den aufwendigen Austritt Großbritanniens aus der EU. Kanzlerin Merkel betont in einer Regierungserklärung, dass dabei zuerst über Geld geredet werden muss. Einem Sonderstatus für die Briten erteilt sie eine Absage. Sie will die Interessen der Deutschen wahren – und die Union der 27 Staaten zusammenhalten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor dem EU-Sondergipfel am Samstag eine harte Linie für die Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien angekündigt. Sie strebt auch nach dem Austritt der Briten aus der Europäischen Union enge und gute Beziehungen zu Großbritannien an. Dennoch, so sagte sie an London gewandt, „könne ein Drittstaat, und das wird Großbritannien künftig sein, kann nicht über die gleichen oder gar noch bessere Rechte verfügen wie ein Mitglied der EU“.

„Ich habe das Gefühl, dass sich darüber Einige in Großbritannien noch Illusionen machen“, sagte Merkel weiter. Aus ihrer Sicht gehe es in den Verhandlungen von Seiten der EU in erster Linie darum, „die Interessen unserer Bürger zu wahren“, auch die der rund 100.000 Deutschen, die in Großbritannien leben. Diese bräuchten Klarheit und Planungssicherheit. „Wir haben uns diesen Austritt nicht gewünscht“, sagte Merkel, aber es gelte auch, die demokratische Entscheidung der Briten zu respektieren.

Erst die Finanzen, dann das künftige Verhältnis zur EU

Bei den Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens müsse von Beginn an auch über die finanziellen Verpflichtungen Londons gesprochen werden, betonte Merkel. Diese Verpflichtungen erstreckten sich auch auf die Zeit nach dem voraussichtlichen Brexit im Jahr 2019. Merkel bekräftigte, dass zunächst die Bedingungen des Austritts „zufriedenstellend geklärt“ werden müssten, bevor über das künftige Verhältnis zu London gesprochen werden könne. Diese Reihenfolge sei „nicht umkehrbar.“

Die CDU-Politikerin rechnet dabei mit einer konsequenten einheitlichen Haltung der übrigen EU-Mitglieder. Es gebe im Kreis der 27 und der EU-Institutionen mittlerweile ein „großes Einvernehmen über unsere gemeinsame Verhandlungslinie gegenüber Großbritannien“, sagte Merkel. Dies hätten ihre Gespräche in den vergangenen Wochen gezeigt. „Wir können deshalb davon ausgehen, dass vom Europäischen Rat der 27 übermorgen ein starkes Signal der Geschlossenheit ausgehen wird.“

Am Samstag wollen Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs Leitlinien für die Verhandlungen über den Brexit beschließen. Die Leitlinien seien die Grundlagen für das Verhandlungsmandat, das die 27 Staaten in einem weiteren Schritt der EU-Kommission voraussichtlich Ende Mai erteilen würden, sagte Merkel.

Keine Selbstbeschäftigung wegen ernster Krisen

Trotz der aufwendigen Verhandlungen zum Brexit soll die EU sich aber nicht nur noch mit sich selbst beschäftigen, mahnte die Bundeskanzlerin. Viel zu ernst seien die Krisen in Europas Nachbarschaft und zu groß die globalen Herausforderungen von Flucht, Migration, Hunger, Welthandel und Klimaschutz, „als dass es sich Europa nun leisten könnte, sich in den zwei kommenden Jahren nur mit sich selbst zu beschäftigen, Brexit hin oder her“.

Die verbleibenden EU-Mitglieder wollten im Interesse der künftig 450 Millionen Unions-Bürger ihre Werte und Interessen weltweit behaupten. „Es geht um unser gemeinsames gutes Leben in Deutschland und Europa in den kommenden Jahren und Jahrzehnten“, sagte die Kanzlerin.

In der Debatte über die Regierungserklärung warf Oppositionsführerin Sahra Wagenknecht der Bundesregierung anti-europäische Politik vor. Wagenknecht kritisierte, dass die EU den Austritt Großbritanniens möglichst abschreckend gestalten wolle. „Wer glaubt, auf Einschüchterung angewiesen zu sein, um den europäischen Zusammenhalt zu sichern, der hat Europa längst aufgegeben.“ SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann warf der Linken vor, die Lage in Europa schlechtzureden. „Sie malen hier ein Krisenszenario aus und ignorieren, dass im Augenblick die Eurozone dabei ist, sich wirtschaftlich zu stabilisieren“, sagte er. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warnte Merkel vor Kleinmut und der ausschließlichen Vertretung deutscher Interessen.

von

Günter Schwarz – 27.04.2017