„Vernunftehe“ unter Beschuss
Eine Liebesbeziehung ist sie nicht, aber der Schlüssel für den Zusammenhalt Europas: Die Beziehung Deutschland-Frankreich. Der Versuch einer Bestandsaufnahme durch die französische Journalistin Céline Calla (Le Monde) – und einer Einschätzung, was eine Präsidentin Le Pen für diese Beziehung bedeuten würde.
Die französische Journalistin und ehemalige Auslandkorrespondentin von „Le Monde“, Cécile Calla, lebt seit Jahren in Berlin und erinnert sich noch gut an die Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung. Das jahrelange Gleichgewicht zwischen Deutschland und Frankreich war plötzlich gestört: „Französische Magazine zeigten kurz nach der Wiedervereinigung den deutschen, aggressiven Adler auf dem Cover und symbolisierten damit die Angst, die viele vor dem großen wiedervereinigten Deutschland hatten.“
Der Vertrag von Maastricht, der gemeinsame Wirtschaftsraum und die Einführung des Euro nahmen den Franzosen die Ängste, Deutschland würde einen eigenen Weg gehen und Europa wieder dominieren. Die Franzosen rechneten es den Deutschen hoch an, dass sie ihre heißgeliebte D-Mark aufgaben.
Alte Ängste – neue Parolen
Die Eurokrise und das immer größer werdende Gefälle zwischen Deutschland und Frankreich bringen jetzt aber diese alten Ängste wieder hoch. Ängste, welche die Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen geschickt bewirtschaftet.
Der Auftritt Marine Le Pens anfangs dieses Jahres in Koblenz zum Treffen der Rechtspopulisten Europas, das von der AfD organisiert war, schockierte, wie aggressiv sich Le Pen gegen Deutschland und Kanzlerin Angela Merkel aufspielte: „Das heutige Europa ist ein Europa Deutschlands, wo alles durch Deutschland entschieden wird, im Interesse Deutschlands und zum Nachteil von vielen Nachbarländern. (..) Der Euro ist eine deutsche Währung, keine europäische. (..) Wir wollen keine Europapolitik, die uns Frau Merkel mit dem Knüppel aufzwingt.“
„Sie will alte germanophobe Reflexe revitalisieren. Ich glaube aber nicht, dass sie damit noch viele Franzosen wirklich erreichen kann“, meint die französische Journalistin Cécile Calla über Marine Le Pen. Sie sieht darin einen Versuch, alte Ängste hervorzuholen: „Sie will alte germanophobe Reflexe revitalisieren. Ich glaube aber nicht, dass sie damit noch viele Franzosen wirklich erreichen kann.“ Vor der Wirtschaftsmacht Deutschland aber haben laut Calla viele Franzosen Respekt oder sogar Angst, und deshalb gibt es dann von daher eben doch durchaus etwas fruchtbaren Boden für Le Pens Parolen aus der Mottenkiste der Geschichte.
Pickelhaube und „Krankreich“
Auch die französische Presse ist nicht zimperlich, wenn es um Anti-Deutschland-Reflexe geht: Mit den Schlagworten „Immigration und Terrorismus“ versehen, wurde Angela Merkel als „bösartige Gottheit Europas“ betitelt. Und bei der politischen Gegenseite, bei der links-radikalen „Marianne“, wurde die Kanzlerin mit preußischer Pickelhaube gezeigt, die Europa ihre Politik diktiere.
Deutschland lässt sicherlich niemanden kalt in Frankreich und man schaut voller Faszination, auf die deutsche Wirtschaftsleistung und konsequente Reformpolitik. Kritische Stimmen am rechten und linken Rand aber sehen in Deutschland ein Symbol für die Schreckensherrschaft über ganz Europa, die Angela Merkel als dominierende Person sehen, die ganz Europa ihren Sparzwang aufdrängt, die auch Frankreich bremst und den ohnehin schon stotternden französischen Wirtschaftsmotor abmurkst.
Und da ist es sicherlich auch nicht hilfreich, wenn der deutsche Boulevard Frankreich konsequent immer wieder als „Krankreich“ tituliert und schon fast hämisch auf die schleppenden Reformanstrengungen der französischen Regierung verweist.
Die Beziehung der beiden Länder im Zentrum Europas ist keine einfache. Schwächelt die Beziehung Frankreich-Deutschland oder gerät gar in eine tiefe Krise, dann kommt ganz Europa ins Wanken. Und dies wäre wohl mit einer Präsidentin Le Pen der Fall, damit rechnen die meisten Beobachter. Sollte sich Frankreich von Europa und von Deutschland abwenden, dann wäre die EU in der heutigen Form wohl bald Geschichte.
Freund ist man nicht, man wird es
An der Beziehung Frankreich-Deutschland muss also kontinuierlich gearbeitet werden. Denn wie schon François Hollande sagte: „Man ist nicht Freund, man wird Freund.“
Heute ist die Beziehung der beiden Länder eher „eine Vernunftehe und keine Liebesgeschichte“ meint auch Cécile Calla. Die Beziehung braucht Pflege und dies nicht nur auf der politischen Bühne: Eine zentrale Rolle spielt dabei das deutsch-französische Jugendwerk: 200.000 Jugendliche aus Deutschland und Frankreich können sich gegenseitig kennenlernen. Aus diesem Jugendaustausch entstehen immer wieder dauerhafte Freundschaften, wie das Beispiel von deutsch-französischen Jugendaustauschen zeigen, die seit Jahrzehnten bestehen und aus denen schon viele lebenslange Freundschaften hervorgegangen sind. So wird im Kleinen aus der Beziehung schnell mehr als nur eine Vernunftehe.
von
Cécile Calla / Günter Schwarz – 06.05.2017