Wir wollen keinen Krieg in Europa!
Der Vietnamkrieg (1955 bis 1975) gehörte zu den ersten Kriegen, der durch eine Beteiligung von Medien politische Wirkung zeigte und massive Anti-Kriegs-Bewegungen in den USA und auch Europa zur Folge hatte. Viele erschütternde Aufnahmen von Kriegsberichterstattern wurden über Zeitungen und Fernsehen in die Welt transportiert – und viele dieser Aufnahmen stehen noch heute für den Wahnsinn und das Leid von Zivilbevölkerungen während eines Krieges. Wir alle kennen die Fotoaufnahme des „Napalm-Mädchens“, welches am 8. Juni 1972 in dem Dorf Trang Bang unweit von Saigon entstanden ist. Nackt und verbrannt floh die damals 9-jährige Kim Phúc aus dem von einem Luftangriff getroffenen Dorf und wurde fotografiert. Ihr Bild ging um die Welt und gilt noch heute als kriegsanklagende Ikone.
Viele der in Vietnam entstandenen Aufnahmen prägten sich in das kollektive Bewusstsein von Menschen in Amerika und Europa und trugen dazu bei, dass sich eine massive Kriegsopposition bildete, die Millionen Menschen zu Antikriegsdemonstrationen auf die Straße trieb.
Auch „unsere“ Kriege heutzutage sparen nicht mit schrecklichen Illustrationen. Der Krieg und das Leid rückt durch soziale Medien sehr nah. Während der militärischen Auseinandersetzung in der Ostukraine kursierten ständig grausame Bilder ziviler Opfer durch die sozialen Medien. Der IS transportiert Aufnahmen grausamer Hinrichtungen im Internet und auch aus Syrien sehen wir fast täglich schreckliche Bilder.
Anders als in den späten 60er und 70er Jahren treiben diese Bilder keine Menschen mehr zu Massenkundgebungen auf die Straße. Der kollektive Aufschrei der Empörung bleibt aus.
Mehr noch. Wir schauen tatenlos zu, während der türkische Außenminister Cavusoglu sich immer wieder in wilde Drohungen versteigt und Europa mit „Religionskriegen“ droht. Weder unsere Regierung, noch die Bevölkerung scheint sich Sorgen zu machen; geschweige denn Empörung zu zeigen. Kim Yong Un in Nordkorea droht mehr oder weniger offen mit Atomkrieg und auch der russische Präsident Putin hat schon mehrfach den möglichen Einsatz nuklearer Waffen angesprochen. All das scheint uns nicht zu berühren.
Man scheint die Distanz und auch die Sensibilität verloren zu haben. Man mag sich an den Anblick von Kriegen im Nahen Osten gewöhnt haben – dort wird seit nunmehr über 60 Jahren begeistert gebombt und gesprengt. Doch nicht einmal die Bilder der zerfetzten Zivilisten aus der Ostukraine scheinen uns zu beunruhigen oder zu ängstigen. Menschen also, die nicht nur in unmittelbarer geografischer Nähe, sondern in ebensolchen Häusern wie wir leben, die gleiche Kultur haben und quasi genau wie wir aussehen. Viele Medien sprechen bei dem Konflikt in der Ostukraine schon über den „vergessenen Krieg“ – weil ihn niemand zu interessieren scheint. Ein Konflikt, der bis heute andauert und dem inzwischen schon mehr als 50.000 zivile Opfer gefallen sind. Ein Krieg in Europa.
Es wirkt befremdlich und sehr beängstigend, wenn wir nicht mehr in der Lage zu sein scheinen, zu artikulieren, dass wir einen Krieg in Europa nicht wollen. Es wirkt befremdlich und beängstigend, wenn sich unsere Regierung von diesem türkischen Außenminister bedrohen lässt und weiterhin Geschäfte mit einem solchen Land macht, bzw. sogar noch Rüstungsmittel in diese Regionen liefert.
Wir wollen keinen Krieg in Europa. Es liegt dabei in unserer Verantwortung, diesem Wunsch eine Stimme zu verleihen.
Am 10. Oktober 1967 versammelten sich 100.000 Demonstranten in Washington D.C., um gegen den Vietnamkrieg zu demonstrieren. Der Vietnamkrieg war dabei weit von den USA entfernt. Viel weiter als Syrien oder die Ukraine von Deutschland. Der Unterschied: die Menschen damals scheinen es nicht als „normal“ angesehen zu haben, die zerfetzten und toten Körper von Zivilisten auf den Bildschirmen und in den Zeitungen sehen zu müssen. Uns ist das schon sch…egal?
von
Michael Schwarz – 07.05.2017