(Ankara) – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan fügt einen der letzten „Mosaiksteine“ in seinen Plan zur Konzentration der Staatsmacht in seiner Hand und zur Implementierung einer Autokratie ein. Gut einen Monat nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum zu seinen Gunsten wird er wieder Chef der Regierungspartei AKP. Seine Wahl dazu ist jetzt nur noch eine reine Formsache, und dieses Amt verschafft ihm noch mehr reale Macht als er ohnehin schon hat. Sollte es mit Erdoğan so eweitergehen, wird die Welt wohl noch eine Krönung des „Herrn“ Erdoğan zum Sukten des „Osmanischen Reiches türkischer Nationen“ erleben. Der Werbespruch der japanischen Firma Toyota  „Nichts ist unmöglich“ ist bei Erdoğan längst Realität.

Bei dem AKP-Sonderparteitag in Ankara am heutigen Sonntag tritt Erdoğan als einziger Kandidat an. Die Wahl wird als Großereignis in der Ankara-Arena inszeniert. Zehntausende seiner Anhänger (Vasallen und Klackeure) strömen zum Parteitag in die Ankara-Arena. Dass der Präsident der Türkei nicht mehr parteiunabhängig sein muss, war einer der zentralen Inhalte der Verfassungsreform, die das türkische Volk am 16. April laut offiziellen Angaben – Opposition beklagt Wahlbetrug – mit 51,4 Prozent knapp gebilligt hatte.

Offizielle Eminenz statt grauer Eminenz

Erdoğan gehört zu den Mitbegründern der AKP, die er bis zu seiner Wahl zum Präsidenten im August 2014 angeführt hatte. Vor knapp drei Wochen war Erdoğan nach dem Verfassungsreferendum am 2. Mai bei einer feierlichen Zeremonie in Ankara, welches in denen von ihm gesteuerten Medien werbewirksam inzeniert wurde, wieder der AKP beigetreten. Nun überlässt der jetzige Ministerpräsident Binali Yıldırım, ein treuer Gefolgsmann (besser: Lakai!) Erdogans, ihm wie geplant wieder den Chefsessel. Erdoğan trat 2014 zwar formell aus der AKP aus, genoss aber weiter maßgeblichen Einfluss und engagierte sich in Wahlkämpfen für die Partei. Traditionell war nach Erdoğans formellem Ausscheiden der AKP-Chef Binali Yıldırım zugleich Ministerpräsident.

Erdoğan übte aber dennoch großen Einfluss auf die Partei aus, für die er sich auch vor Wahlen engagierte. Sein Einfluss wird nun noch zunehmen, wenn er offiziell wieder den Vorsitz innehat. Der Parteichef spielt unter anderem eine entscheidende Rolle bei der Auswahl der Kandidaten für Parlamentswahlen. Wo Erdoğan bisher auf Druck und Netzwerke innerhalb der AKP setzen musste, kann er nun offiziell als Parteichef anordnen.

Erdoğan an beiden Enden der Gewaltentrennung

Künftig kann Erdoğan außerdem gemäß den AKP-Statuten direkten Einfluss auf seine Abgeordneten im Parlament ausüben, in dem der Präsident selber nicht Mitglied ist. In vollem Umfang entfalten werden sich seine neuen Möglichkeiten nach dem für November 2019 geplanten Abschluss der Verfassungsreform. Dann sitzt Erdoğan an beiden Enden der staatlichen Gewaltentrennung und kontrolliert sich so de facto selbst.

Die neue Verfassung stärkt die Macht des Präsidenten nachhaltig und weist dem Parlament die einzig wirksamen Mittel zum Dagegenhalten zu. Das gilt vor allem dann, wenn die Partei des Präsidenten – wie derzeit – die absolute Mehrheit hat. Damit kann die AKP beispielsweise Gesetze verhindern, die Dekrete des Präsidenten unwirksam machen würden. Auch kann die AKP blockieren, dass gegen den Präsidenten wegen Straftaten ermittelt wird.

60-Prozent-Hürde bei Wahlen bedeutsam

Noch deutlicher wäre der Machtzuwachs, sollte die Partei des Präsidenten über eine 60-Prozent-Mehrheit im Parlament verfügen. Dann könnte der Präsident nicht nur seine sechs Kandidaten für den Rat der Richter und Staatsanwälte ernennen, der über Ernennungen und Entlassungen in diesen Berufsgruppen entscheidet. Über die Partei hätte er außerdem indirekt Einfluss auf die verbliebenen sieben Ratsstellen, die das Parlament auswählt.

Eine 60-Prozent-Mehrheit könnte Erdoğan auf Jahrzehnte im Amt zementieren: Die Zählung der Amtszeiten beginnt neu mit den für November 2019 geplanten Parlaments- und Präsidentenwahlen. Eigentlich sind maximal zwei Amtszeiten erlaubt, es gibt aber eine Ausnahme: Sollte das Parlament in der zweiten Amtsperiode des Präsidenten mit einer 60-Prozent-Mehrheit eine Neuwahl beschließen, dürfte der Präsident noch einmal kandidieren. Erdogan könnte somit mindestens bis 2034 an der Macht bleiben. Und zur Not könnte die AkP die nötige Parlaments-Mehrheit ja auch auf ein Prozentmaß reduzieren, dass dem „Sultan des Landes“ entgegenkommt und „genehm“ ist!

von

Günter Schwarz – 21.05.2017