Was geschah am 2. Juni 1992 in unserem Dänemark?
In einer Volksabstimmung stimmen die Dänen am 02. Juni 1992 mit 50,7% gegen und 49,3% zugunsten des Vertrags von Maastricht, was die Einführung dieses Vertrages mit dem größten Schritt der europäischen Integration seit Gründung der EU zunächst einmal verhinderte, so dass der Vertrag erst zum 1. November 1993 eingeführt werden konnte.
Als Vertrag von Maastricht wird der Vertrag über die Europäische Union (EUV) bezeichnet, der am 7. Februar 1992 im niederländischen Maastricht vom Europäischen Rat unterzeichnet wurde. Er stellt den bis dahin größten Schritt der europäischen Integration seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG) dar. Mit diesem Vertragswerk, das an die Seite der 1957 geschlossenen Römischen Verträge trat, wurde die Europäische Union (EU) als übergeordneter Verbund für die Europäischen Gemeinschaften, die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres gegründet.
Abgesehen von dem eigentlichen EU-Vertrag in seiner ursprünglichen Fassung enthält der Vertrag von Maastricht auch Bestimmungen zu umfassenden Änderungen der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, also des EG-Vertrags, des EURATOM-Vertrags und des damals noch in Kraft befindlichen EGKS-Vertrags. Er trat am 1. November 1993 in Kraft. Der damit geschaffene Rechtsstand wurde zum 1. Mai 1999 durch den Vertrag von Amsterdam erneut geändert.
Einführung
Nach Verhandlungen, die im Dezember 1991 in Maastricht stattfanden, wurde der Vertrag am 7. Februar 1992 unterzeichnet. Wegen einiger Hindernisse im Ratifizierungsverfahren (Zustimmung der dänischen Bevölkerung erst in einem zweiten Referendum; Verfassungsklage in Deutschland gegen die parlamentarische Zustimmung zum Vertrag) konnte er erst am 1. November 1993 in Kraft treten. Er bezeichnet sich selbst als „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“.
Er beinhaltet neben einer Reihe von Änderungen des EG-Vertrages und des Euratom-Vertrages den Gründungsakt der Europäischen Union (vgl. Präambel des EU-Vertrags), ohne diesen selbst zu vollenden. Es war – wie auch die Entwicklung der EG – ein erster Teilschritt auf dem Weg hin zu einer EU-Verfassung, die die EU-Verträge später ersetzen soll.
Die hiermit gegründete Europäische Union ersetzt nicht die Europäischen Gemeinschaften (Artikel 47 EU- Vertrag), sondern stellt diese mit den neuen „Politiken und Formen der Zusammenarbeit“ (Artikel 2 EU-Vertrag) unter ein gemeinsames Dach. Zusammen mit anderen Elementen bilden die Europäischen Gemeinschaften die drei Säulen der Europäischen Union:
- die Europäischen Gemeinschaften
- die Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik (GASP),
- die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS).
Inhalt des Vertrages
Währungs- und Wirtschaftsunion
Im Mittelpunkt des Vertrages stehen Änderungen des EG-Vertrages, in den insbesondere die Bestimmungen zur Schaffung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion in drei Stufen eingefügt werden. Laut Vertragstext sollte frühestens zum 1. Januar 1997, spätestens zum 1. Januar 1999 in der EU eine gemeinsame Währung (Euro) eingeführt werden. Damit ein Land an der Währungsunion teilnehmen kann, muss es bestimmte wirtschaftliche Kriterien (die EU-Konvergenzkriterien, auch als Maastricht-Kriterien bezeichnet) erfüllen, durch die die Stabilität der gemeinsamen Währung gesichert werden soll. Dabei handelt es sich um Kriterien, die Haushalts-, Preisniveau-, Zinssatz- und Wechselkursstabilität gewährleisten sollen. Das Kriterium der Haushaltsstabilität (Defizitquote unter 3 % und Schuldenstandsquote unter 60 % des BIP) wurde als dauerhaftes Kriterium ausgelegt (Stabilitäts- und Wachstumspakt), die anderen Kriterien müssen Mitgliedstaaten nur vor der Euro-Einführung erfüllen.
Im Vertrag war festgelegt, dass Länder, die die Konvergenzkriterien erfüllen (worüber der Ministerrat zu entscheiden hat), dem Euro nach dieser Zeit beitreten müssen. Lediglich Großbritannien und Dänemark behielten sich das Recht vor, selbst über den Beitritt zur Währungsunion zu entscheiden.
Der Euro wurde am 1. Januar 1999 als Buchwährung eingeführt (am 1. Januar 2002 als Bargeld); ab dem 1. Januar 1999 waren die Wechselkurse zwischen den beteiligten Währungen fixiert.
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
Die bisherige Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) wird mit dem Vertrag von Maastricht durch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ersetzt. Obwohl die GASP eine Säule der EU darstellt, bleiben die Entscheidungen letztlich in den Händen der Nationalstaaten. Für die meisten Beschlüsse gilt deshalb das Einstimmigkeitsprinzip.
Die Unionsbürgerschaft
Mit dem Vertrag von Maastricht wurde die Unionsbürgerschaft eingeführt. Sie ersetzt nicht die Staatsbürgerschaft, sondern ergänzt diese. Die Unionsbürgerschaft erhält jeder, der die Staatsbürgerschaft eines der Mitgliedsstaaten der EU besitzt. Er erhält damit unter anderem eine Aufenthaltserlaubnis in der gesamten Union, das aktive und passive Kommunalwahlrecht im Wohnstaat, sowie das Recht, das Europäische Parlament unabhängig von der Staatsbürgerschaft in der gesamten EU jeweils am Wohnsitz zu wählen.
Außerdem erhielten Unionsbürger das Recht, Petitionen an das Europäische Parlament zu richten, wo zu diesem Zweck ein Petitionsausschuss gegründet wurde. Als Ansprechpartner bei Beschwerden wurde das Amt des Europäischen Bürgerbeauftragten eingerichtet.
Demokratisierung
Eine weitere Neuerung ist die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens. Damit wurde das Europäische Parlament in einigen Bereichen auf die gleiche Stufe wie der Ministerrat gestellt. Außerdem wurden erstmals die europäischen politischen Parteien vertraglich anerkannt, was eine Finanzierung der europaweiten Parteibündnisse aus EU-Mitteln ermöglichte.
Ferner wurde die Einrichtung des Ausschusses der Regionen beschlossen, der eine angemessene Vertretung der Regionen, wie etwa in Deutschland der Bundesländer, garantieren soll.
Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik
Außerdem wurde im Vertrag eine Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich der Justiz und des Inneren beschlossen. Wie bei der zweiten Säule, der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, blieb aber auch in diesem Bereich das Einstimmigkeitsprinzip weitgehend erhalten. Für die bessere Koordination der polizeilichen Zusammenarbeit wurde die Europäische Polizeibehörde Europol gegründet.
Protokoll über die Sozialpolitik
Dem Vertrag von Maastricht waren ein Protokoll über die Sozialpolitik und ein Abkommen zwischen elf der damaligen Mitgliedstaaten (ohne Großbritannien) beigefügt, mit dem erweiterte gemeinschaftliche Zuständigkeiten insbesondere zur Setzung arbeitsrechtlicher Mindestnormen und bei der Förderung des Sozialen Dialogs auf Gemeinschaftsebene geschaffen wurden. Großbritannien hatte sich als einziger Mitgliedstaat gegen diesen (vergleichsweise kleinen) Schritt zur Vertiefung der Integration im Bereich der Sozialpolitik ausgesprochen und eine Aufnahme in den Vertrag blockiert, so dass die übrigen Mitgliedstaaten diesen integrationspolitischen „Zwischenschritt“ wählten.
Das Maastrichter Sozialprotokoll bzw. Sozialabkommen ist damit ein gutes Beispiel für eine Politik der abgestuften Integration (Europa der zwei Geschwindigkeiten), bei der nicht alle Integrationsschritte zur gleichen Zeit von allen Mitgliedstaaten vollzogen werden müssen. 1997 gab Großbritannien unter der neu gewählten Regierung von Tony Blair seinen Widerstand gegen eine vertiefte gemeinschaftliche Sozialpolitik auf, so dass der Text des Sozialabkommens mit dem Vertrag von Amsterdam als Artikel 137 ff. in den EG-Vertrag aufgenommen werden konnte. Das erste Gesetz, das durch den Sozialdialog angenommen worden ist, ist die Richtlinie 96/34/EG zum Elternurlaub.
Sonstiges
- Mit dem Vertrag von Maastricht erhielten die europäischen Institutionen erstmals auch Zuständigkeiten im Bereich der Kultur (damals Art. 128 EG-Vertrag, seitdem Vertrag von Nizza Art. 151 EG-Vertrag). Die späteren Förderprogramme Raphael, Ariane und Kaleidoskop sowie das Rahmenprogramm Kultur 2000 haben hier ihre Rechtsgrundlage.
- Das so genannte Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 89, 155) vom 12. Oktober 1993 befasste sich mit dem geschlossenen Vertrag. Das Gericht billigte das Vertragswerk als mit dem Grundgesetz vereinbar, machte jedoch dem deutschen Gesetzgeber Auflagen für die Umsetzung im Hinblick auf die demokratische Legitimation des Staatenverbundes.
von
Günter Schwarz – 02.06.2017