Am 1. Juni jährte sich zum 90. Mal der Tag, an dem der 11,3 Kilometer lange Damm zwischen dem Festland und der Insel Sylt feierlich eingeweiht wurde. 1927 wurde die Verbindung zwischen Sylt und dem Festland fertiggestellt. Der Damm wurde nach dem damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg benannt, der die Eisenbahnverbindung am 1. Juni 1927 eröffnete und als einer der ersten Passagiere im Eröffnungszug vom Festlandbahnhof Klanxbüll nach Westerland auf Sylt fuhr. Beim anschließenden Frühstück im Kurhaus von Westerland taufte Julius Dorpmüller, der Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, den Damm auf den Namen Hindenburgdamm.

Bis zur Volksabstimmung war damalige Sylter Fährhafen Munkmarsch per Raddampfer vom Fährhafen Hoyer (Højer) aus zu erreichen. Nach der Volksabstimmung am 10. Februar des Jahres 1920 war Hoyer jedoch zu Dänemark gekommen und hieß wieder Højer. Andere Fährverbindungen durch das Wattenmeer erwiesen sich als schwierig zu realisieren, und deshalb wurde zwischen Mai 1923 und 1927 der Bau eines Dammes vorangetrieben, dessen erste Idee schon 1856 von dem Inselchronisten Peter Christian Hansen entwickelt und dessen konkrete Planung bereits 1913 begonnen worden war. 1.500 Arbeiter waren an diesem Großprojekt, das im Laufe seiner Bauzeit einige Rückschläge erleiden musste, beteiligt.

Es gibt einen Roman von Margarete Boie zu diesem Thema, der von den Herausgebern Arno Bammé und Thomas Steensen wiederentdeckt und aufgelegt wurde. Aus Anlass des 90-jährigen Jubiläums hat das Nordfriisk Instituut den Roman „Dammbau“ von Margarete Boie (1880-1946) neu aufgelegt, nachdem die erste Auflage dieses von Thomas Steensen und Arno Bammé wiederentdeckten Romans vergriffen war. Der 90. Jahrestag der Einweihung durch die Überfahrt in einem blumengeschmückten Sonderzug des damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg ist auch ein Anlass, auf diesen bemerkenswerten zeitgeschichtlichen Roman hinzuweisen.


Eröffnung am 1. Juni 1927

1930 erschien der Roman von Margarete Boie unter dem Titel „Dammbau“, in dessen Mittelpunkt der Bau des Hindenburgdammes steht, durch den die Sylt mit dem Festland verbunden wurde und per Eisenbahn zu erreichen war. Dabei griff die in Berlin geborene Autorin, von der viele ihrer Romane die Geschichte, Landschaft und Leute der Insel Sylt zum Thema hatten, verschiedene wahre Begebenheiten auf, um sie zu einem Gemälde der Zeit zu verarbeiten.

Im Mittelpunkt des Romans steht die Figur des Morsumer Pastors Peter Boy Eschels. Für ihn gibt es ein konkretes Vorbild – wie die Romanfigur war der 1913 nach Morsum berufene Pastor Hans Johler ein entschiedener Befürworter des Dammbaus, der tatsächlich dafür bekannt war, sich auch um die Dammarbeiter zu bemühen, die auf Nösse (Nösse = Landzunge im Osten der Insel Sylt) in Baracken wohnten und der seine Sylter Gemeinde vergeblich versucht, für die Neuerungen der Zeit empfänglich zu stimmen. Er sieht insbesondere in der Notzeit nach dem Ersten Weltkrieg in diesem „Band des Fortschritts“ die Chancen, die sich für die Insel ergeben können, auch wenn er sich andererseits der Gefahr, die von diesem Bauwerk für die friesische, dörfliche Kultur ausgeht, bewusst ist. Aber die Welt, so argumentiert er, sei größer als Morsum.

Ganz anders ist die Haltung der Morsumer Dorfbevölkerung zum Dammbau – und damit auch zu den Arbeitern, die in ihre ländliche Gemeinde kommen. Hier zeichnet die Autorin insbesondere in Rasmus Claasen und Holm-Peter Vertreter des Beharrens an alten Werten, Traditionen und der friesischen Sprache, die durch den Damm und die über ihn einströmenden Menschen in Gefahr geraten werden. Indem sich Pastor Eschel, ebenso wie das literarische Vorbild Pastor Johler, für den Dammbau einsetzt und sich als Pastor auch für die Arbeiter, die unter harten Arbeits- und Lebensbedingungen am Damm arbeiten, bemüht, entfremdet er sich mehr und mehr von seinen Morsumer Gemeindemitgliedern. Er stößt zunehmend auf die Opposition von den „Morsumesen“ und der Konflikt verschärft sich sich dermaßen, dass ein Schreiben der Gemeinde an den Bischof dazu führt, den Pastor letztlich abzusetzen, weil der Bischof keine Kraft mehr hat, gegen die häufigen Beschwerden aus Morsum anzukämpfen. Mit der Einweihung des Dammes kehrt Boy Eschels Sylt den Rücken, nachdem ihm die Gemeinde den Stuhl vor die Tür gesetzt und er am 1. April 1927 sein Entlassungsschreiben vom Landeskirchenamt erhalten hat.

Margarete Boie schreibt in ihrem 1930 erschienenen Roman erlebte Zeitgeschichte, die sehr plastisch die Bauarbeiten im Zusammenhang mit der schweren Wirtschaftskrise jener Zeit darstellt. Mit dem Vorbild ihres Protagonisten Pastor Eschels, dem realen Pastor Johler, stand sie in intensiver Verbindung. Die Arbeitslosigkeit der Nachkriegsjahre, die die Arbeiter prägt, die Erinnerungen des jungen Ingenieurs Heinrich Bremer an den Ersten Weltkrieg und die Veränderungen zwischen Kirche und Staat seit der Revolution von 1918 in Person des Lehrers Abrumeit fließen in das Zeitbild der Zwanziger Jahre ein.

Wer noch in den 1970er Jahren in Morsum war, kann sich die dargestellten Gespräche und Auseinandersetzungen lebhaft vorstellen. Es gelingt der Autorin, die sprachlichen Besonderheiten der Friesen, wenn sie deutsch sprachen, lebendig nachzuempfinden.

In ihrem umfangreichen Nachwort heben die Herausgeber mit Blick auf die Entwicklung – nicht nur der Insel Sylt durch den Dammbau – hervor, dass Margarete Boies Roman „Dammbau – ein Sylter Roman“ das Verhältnis von Regionalismus und Globalisierung thematisiert und damit von zeitloser Bedeutung und damit mehr als ein „Heimatroman“ sei.

Margarete Boie, „Dammbau – ein Sylter Roman“. Herausgeber: Arno Bammé und Thomas Steensen, Nordfriisk Instituut, Band 217, Husum Verlag 2017. – ISBN 978-3-89876-610-4

 von

Günter Schwarz – 05.06.2017