„Führerin der freien Welt“ – Merkel wird das Label nicht los
(Rio de Janeiro) – Bei ihrem momentanen Besuch in lateinamerikanische Staaten erfuhr Bundeskanzlerin Merkel in Argentinien, dass sie am anderen Ende der Welt viele Bewunderer hat und ungewollt als Gegenentwurf zur Trump-Politik in den USA gesehen wird. Das hat aber auch Vorteile.
Angela Merkel muss sich tüchtig geärgert haben, als sie nach ihrer versehentlich so berühmt gewordenen „Bierzeltrede“ in liberalen US-Medien wieder einmal hoch- und runtergejubelt wurde. Denn das Problem verfolgt sie nun bis nach Südamerika. Europa müsse jetzt sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, hatte sie in einem bayerischen Bierzelt gesagt. Das war kurz nach dem G7-Gipfel in Taormina und wenige Tage vor der Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen. Merkels Satz ging um die Welt und besonders in den USA wurde sie nun erst recht als „Führerin der freien Welt“ gefeiert – schon vergangenes Jahr hatte die „Washington Post“ Merkel so genannt. Eine Umfrage in den USA zeigte gerade, dass nicht nur Medien, sondern fast ein Drittel der US-Bürger Merkel so sehen.
Nicht, dass Lob schlimm wäre. Doch Merkel empfindet den Titel als Bürde und würde ihn gerne abschütteln. Vor allem will sie nicht als Gegenspielerin Trumps gesehen werden, dessen Namen sie in Argentinien öffentlich kein einziges Mal in den Mund nahm. Sie ist auch der Meinung, dass die Bezeichnung ihren angeblichen Widerpart nicht beeindruckt oder gar zum Umdenken anregt.
Doch so einfach ist das nicht. Bei ihrem Staatsbesuch in Argentinien tritt Merkel immer wieder dem Bild der Weltführerin entgegen. „Keine Einzelperson und kein Land kann allein die Probleme lösen“, versucht Merkel bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Staatspräsident Mauricio Macri sich selbst ein wenig auf Normalgröße zu schrumpfen.
Als hätte er das überhört, fragt ein argentinischer Journalist Merkel trotzdem noch einmal, ob Deutschland wegen der vielen Probleme in der Welt nun eine Führungsrolle einnehme. Sie und Macri setzten sich beide „für eine freie offene Welt ein, bei der wir die Globalisierung menschlich gestalten wollen“, erklärt Merkel geduldig, und bezeichnet Protektionismus – diese Politik verfolgt Trump nicht als einziger in der Welt, aber ausgerechnet mit der Handelsmacht USA – als schlecht für die Menschen.
Beziehungen zur EU profitieren von US-Politik
Es ist nicht ohne Ironie, dass genau diese US-Politik nun neue Geschäfte für Deutschland bringen könnte. Macri bezeichnet Europa als „natürlichen Partner“ Argentiniens, das nach jahrelanger Krise groß in seine Infrastruktur investieren will. Bei den Aufträgen wollen deutsche Firmen zum Zuge kommen. Die weltpolitische Lage schiebt auch die seit Jahren laufenden Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den Mercosur-Staaten und der EU neu an. Merkel und Macri bekräftigen beide, dass es nun bald so weit sein soll. Merkel allerdings betont auch, dass bei den notwendigen „harten Kompromissen“ nicht alle Wünsche Argentiniens beim Zugang zum europäischen Markt erfüllt werden können – auch in Europa sitzen Protektionisten.
Im Wissenschaftszentrum Polo Cientifico ist Merkel dann wieder bei ihrem Mantra des Gemeinsammachens, beschwört die europäische Idee als Gegenentwurf zu weltpolitischer Eigenbrötlerei. „“In einer globalisierten Welt gilt es, Brücken zu bauen und nicht Zugbrücken hochzuziehen. Wer sich abschottet, wird von den weltweiten Entwicklungen abgeschnitten“, warnt sie. „Ein geeintes Europa kann weltweit seine Werte und Interessen behaupten.“ Den Brexit, den US-Präsident Trump unterstützt hatte, bezeichnet sie als herbe Zäsur, die man aber als Weckruf verstehen müsse. „Wir wollen verstärkt unter Beweis stellen, dass es allemal besser und erfolgreicher ist, mit vereinten Kräften die großen, globalen Herausforderungen anzunehmen, als dass es jeder alleine kann.“
Als ein Student sie fragt, als sei sie Wahrsagerin, wie die Welt in 20 Jahren aussehen werde, läuft Merkel überraschenderweise zu Hochform auf. Ausgerechnet diese Frage verleitet Merkel zur längsten Antwort des Tages und sie gerät beinahe ins Schwärmen. Von Bevölkerungswachstum und Klimawandel bis zu neuen Arbeitswelten, Digitalisierung, künstlicher Intelligenz und neuen Ethikfragen umreißt sie alle Zukunftsthemen, um mit dem Satz zu schließen: „Sie wachsen in eine spannende Welt hinein.“
Offene Arme in Mexiko
An diesem Freitag fliegt Merkel weiter nach Mexiko. Was von Europa aus wie ein logischer Abstecher in ein anderes lateinamerikanisches Land erscheinen mag, ist eine Reise von knapp 7.400 Kilometern. Mexiko ist jedoch wie Argentinien Mitglied der G20 und um dieses Format geht es bei Merkels Reise offiziell. In einem Monat wird sie am 7. und 8. Juli 2017 Gastgeberin des Gipfels in Hamburg sein. „Es ist sehr wichtig, dass alle Länder der G20 zusammenarbeiten“, sagte der mexikanische Vize-Außenminister Carlos de Icaza vor Merkels Ankunft. Wegen Trumps protektionistischer Agenda will Mexiko seine Beziehungen nach Europa, Asien und Lateinamerika stärken.
Nach den Äußerungen de Icazas zu urteilen, wird Merkel in Mexiko nicht ständig erklären müssen, sie sei nicht die Führerin der freien Welt. De Icaza sagte, die mexikanische Regierung wolle den Besuch der Bundeskanzlerin nicht als Botschaft an Trump verstanden wissen. „Deutschland und Mexiko senden keine Botschaft an ein anderes Land. Wir senden vielmehr eine Botschaft an die Welt, dass wir gemeinsame Werte teilen“, sagte er. „Die Beziehungen zwischen Mexiko und Deutschland haben ihren eigenen Stellenwert.“
von
Günter Schwarz – 10.06.2017