(London) – Nach der Wahlschlappe in Großbritannien geben einige Tory-Abgeordnete Premierministerin Theresa May einem Bericht zufolge nur noch zehn Tage Zeit, ihre Position als Regierungschefin zu retten. Sollte sie ihr Regierungsprogramm nicht durch das Parlament bekommen, drohen die Konservativen mit einem Misstrauensvotum, wie die „Sunday Times“ (Sonntag-Ausgabe) unter Berufung auf Parteikreise berichtete.

Am 28. Juni soll das britische Parlament über die geplante Gesetzgebung für die kommenden zwei Jahre abstimmen. Königin Elizabeth II. wird das Programm am Mittwoch in ihrer Queen’s Speech zur Parlamentseröffnung verlesen – um zwei Tage später als eigentlich geplant und ohne den traditionellen Pomp. Die Verhandlungen über einen EU-Austritt der Briten beginnen bereits am heutigen Montag in Brüssel.

Partei nur kurz besänftigt

In diesem dichten Programm geriet May zunehmend ins Trudeln. Schon nach dem Verlust der Parlamentsmehrheit bei der durch die Konservativen ausgerufenen Neuwahl begannen etliche Parteifreunde, an ihrem Stuhl zu sägen. May gelang es aber, zumindest Zeit zu gewinnen, in internen Gesprächen versprach sie, die Partei aus dem selbst verschuldeten Schlamassel zu führen.

Doch das scheint ihr immer weniger zu gelingen, denn die Gespräche mit der nordirischen Democratic Unionist Party (DUP), die zehn Abgeordnete, die für eine Parlamentsmehrheit beisteuern sollen, sind noch immer nicht geschlossen. Schon dass man die Ultrakonservativen ins Boot holen will, sorgte für Kritik in den eigenen Reihen – und Warnungen, das fragile Friedensgleichgewicht in Nordirland könnte enormen Schaden nehmen.

Schlechte Figur nach Flammeninferno

Nun schwächte ihre Reaktion auf die Brandkatastrophe in London die Position der Premierministerin noch weiter. Kritiker werfen May vor, nach dem Unglück nicht schnell genug reagiert und die Opfer im Stich gelassen zu haben. Sie wollte sich zunächst auch nicht mit Opfern und Angehörigen treffen. In einem BBC-Interview machte sie ebenfalls keine gute Figur. Auch ihre nachträgliche Entschuldigung, nicht richtig reagiert zu haben, könnte zu spät gekommen sein.

Sanfte Kritik des Schatzkanzlers

Zumindest zwischen den Zeilen kam am Sonntag auch noch Kritik von Schatzkanzler Philip Hammond. Er kritisierte den Wahlkampf seiner Partei, bei der er kaum eine Rolle gespielt hatte. Und er meinte, ein Scheitern der „Brexit“-Verhandlungen sei ein „sehr, sehr schlechtes Ergebnis“. Zwar wäre eine Vereinbarung, die die „Lebenssäfte aus unserer Wirtschaft“ zöge, noch schlimmer – dennoch unterschied sich seine Aussage in Nuancen vom Mantra Mays, die immer betonte, dass kein Deal auch eine Option wäre.

Stückwerk statt sollständige Lösung?

Hammond gilt innerhalb der Regierung gemeinsam mit Innenministerin Amber Rudd eher als Verfechter eines sanften „Brexit“. Gegenüber der BBC sagte er aber, Großbritannien werde sowohl den EU-Binnenmarkt als auch die Zollunion verlassen.

Unklar sei aber noch, wodurch die Zollunion ersetzt werden könne, um den reibungslosen Grenzverkehr zwischen der Republik Irland und der britischen Region Nordirland nicht zu gefährden. All das müsse aber schrittweise entschieden werden, sagte der Schatzkanzler. Es sei auch möglich, zunächst eine temporäre Lösung für einige Jahre zu finden und zu einem späteren Zeitpunkt einen neuen Status quo festzulegen.

Druck für sanften „Brexit“

Umfragen zufolge sprechen sich mittlerweile fast 70 Prozent der Briten aber für einen sanften „Brexit“ aus. Am Wochenende appellierten führende Wirtschaftsvertreter an die Regierung, die Regierung möge ihre Haltung überdenken. Und es machten auch Berichte die Runde, einige Tory-Minister würden mittlerweile mit Labour-Politikern über andere Perspektiven verhandeln.

EU-Gegner machen mobil

Das rief mittlerweile die EU-Kritiker in der Partei auf den Plan. Laut „Telegraph“ würden sich die Befürworter eines harten „Brexit“ vorbereiten, offen gegen May zu rebellieren, sollte sie bei den Verhandlungen in Brüssel nicht die gewünschten Standpunkte vertreten. Für einen Misstrauensantrag braucht es 48 Abgeordnete, sobald ein offener Konflikt bei den Torys auftritt, würde May aber wohl den Sessel räumen, meinen Beobachter. Die EU-Kritiker hoffen, dass dann „Brexit“-Minister David Davis oder Außenminister Boris Johnson das Ruder übernehmen. Für andere Teile der Partei gelten aber beide als rotes Tuch.

Schlecht vorbereitet?

Davis selbst sagte am Sonntag, für Großbritannien gebe es kein Zurück mehr. „Es sollte keine Zweifel geben, wir verlassen die Europäische Union“, sagte er. Die Regierung werde das historische Ergebnis des Referendums durchsetzen. „Es ist lebenswichtig, dass der Deal, den wir schließen, es sowohl dem Vereinigten Königreich als auch der EU ermöglicht, zu gedeihen“, so Davis.

Man strebe eine „tiefe und besondere Beziehung“ mit „unseren engsten Verbündeten und Freunden“ an. Allerdings: Laut Medienberichten bereitete die britische Regierung den Verhandlungsstart extrem schlecht vor. In Brüssel ärgerte man sich über fehlende Unterlagen. Sollte sich das bei den Verhandlungen bewahrheiten, könnte auch das Mays Abschied aus der Downing Street beschleunigen.

von

Günter Schwarz – 19.06.2017