(Hamburg) – Die Elbmetropole Hamburg kommt nicht zur Ruhe. Auch wenn sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern mit dem G-20-Gipfel in Hamburg zufrieden zeigte, haben die gewalttätigen Auseinandersetzungen das am Samstag beendete Treffen bis zuletzt überschattet. Bis in die frühen Morgenstunden des Sonntags gab es im Schanzenviertel Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Randalierern.

Erneut brannten Autos und Barrikaden, die Polizei reagierte mit Tränengas und Wasserwerfern. Es gab mehrere Festnahmen. Am Sonntag soll nun Bilanz gezogen werden. Auch der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier will sich in Hamburg ein Bild von der Lage machen. Die politische Debatte über die Gewaltexzesse der vergangenen Tage ist jedenfalls bereits entbrannt.

Die dreitägigen Gewaltexzesse in der Hafenstadt drohen die Bilanz des Gipfels der Weltindustrienationen nachhaltig zu trüben. Auch inhaltlich hinterlassen Kompromisse im Bereich Handel sowie der Streit über den Klimaschutz mit den USA einen bitteren Nachgeschmack.

Die Polizei lieferte sich zum dritten Mal in Folge gewalttätige Auseinandersetzungen mit Randalierern. Nach ihren Angaben wurden dabei erneut Einsatzkräfte verletzt und mehrere Menschen festgenommen. Nach friedlichen Demonstrationen am Samstag war die Situation im Schanzenviertel in der Nacht wieder eskaliert. Wie in den Tagen davor wurden Polizisten attackiert und Müll und Barrikaden angezündet. Mehrere Vermummte warfen Flaschen auf Häuser. Es gab laut Polizei brennende und demolierte Autos. Der S-Bahn-Verkehr war unterbrochen.

Bis in die frühen Morgenstunden beruhigte sich die Lage. Teilweise mussten Einsatzkräfte in den frühen Morgenstunden allerdings weiter gegen einige Randalierer vorgehen. Am Morgen holte die Feuerwehr zwei Menschen von einem Kran, an dem sie zuvor ein Transparent „mit Bezug“ auf den G-20-Gipfel angebracht hatten. Seit Donnerstag war es zu Gewalt zwischen der Polizei und teils Linksautonomen, Linksextremen und Globalisierungsgegnern gekommen. Unter den „Schwarzen Block“ hatten sich auch zahlreiche Randalierer gemischt. Dabei kam es auch zu Plünderungen und Vandalismus.

Kritik an Austragungsort

Die Diskussion über die Gewaltexzesse, Protestkultur, das Vorgehen der Polizei und die politische Verantwortung nahm unterdessen volle Fahrt auf. Am Sonntag will sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Hamburg ein Bild von der Lage machen. Zudem wollte die Polizei Bilanz ziehen und Details über die vergangenen Tage bekanntgeben.

Kritisiert wurde von ihr unter anderem Hamburg als Austragungsort. „Aus unserer Sicht eine Fehlentscheidung, die von Anfang an umstritten war“, erklärte die Gewerkschaft der Polizei Bayern am Samstagabend. Mit dem Ausmaß an Hass und Gewalt habe niemand gerechnet: „Unsere Einsatzkräfte, auch aus Bayern, mussten um Leib und Leben fürchten.“ Unter anderem der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) hatte zuvor die Kritik an der Auswahl Hamburgs zurückgewiesen: „Es können nicht Demonstranten bestimmen, wohin die Bundeskanzlerin Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt einlädt.“

Das teils kritisierte Vorgehen der Polizei verteidigte De Maiziere: Bei diesem „Ausmaß an völlig enthemmter Gewalt“ könne „trotz aller Konsequenz und auch bei bester Vorbereitung nicht jede Ausschreitung erfolgreich sofort unterbunden werden“, sagte De Maiziere der „Bild am Sonntag“. Der Rechtsstaat habe nicht die Kontrolle verloren. Die Verantwortung für die Gewalt liege „einzig und allein bei den Chaoten“, sagte er und forderte harte Strafen.

Gabriel: „Ruf schwer in Mitleidenschaft gezogen“

Der Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) warnte, dass die Hamburger Krawalle dem Ansehen des Landes in der Welt schaden. „Deutschlands Bild in der internationalen Öffentlichkeit wird durch die Ereignisse in Hamburg schwer in Mitleidenschaft gezogen“, schrieb Gabriel in einem Gastbeitrag in der „Bild am Sonntag“. Alle angeblichen politischen Motive seien nur ein Deckmantel, während es den Tätern nur um Gewalt an sich gegangen sei. „Die Täter unterscheiden sich überhaupt nicht von Neonazis und deren Brandanschlägen. Mit angeblich .linken Motiven‘ hat das alles nichts zu tun“, sagte Gabriel.

Zug brachte G-20-Gegner Richtung Basel

Am Hamburger Hauptbahnhof fuhr unterdessen ein Sonderzug los, der G-20-Gegner in Richtung Basel bringen sollte. Die Abfahrt verzögerte sich um gut eine Stunde, weil die Polizei die Personalien von Mitfahrenden aufnehmen und Videos von ihnen machen wollte. Mit der Maßnahme sollte nach mutmaßlichen Straftätern gesucht werden. Letztlich kontrollierten die Beamten nur oberflächlich. Festnahmen gab es nicht.

In der Gefangenensammelstelle in Hamburg-Harburg befanden sich nach Angaben der Rechtsanwältin Gabriele Heinecke am Samstagabend 290 Personen. Sie kritisierte, dass den Inhaftierten die Nummer des anwaltlichen Notdienstes nicht gegeben werde. „Stattdessen werden Telefonbücher hingelegt mit der Aufforderung, sich einen Anwalt herauszusuchen.“ Im Wesentlichen seien die Anträge auf Haftbefehle von den Gerichten zurückgewiesen worden, dafür sei Gewahrsam bis Sonntag zwischen 15.00 und 18.00 Uhr ausgesprochen worden, sagte sie.

Merkel trotz Kompromissen zufrieden

Auch inhaltlich wird der G-20-Gipfel von Kompromissen beim Thema Freihandel und der Haltung der USA im Bereich Klimaschutz überschattet. Diese steigen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aus. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich dennoch zufrieden. „Wir haben in einigen Bereichen durchaus gute Ergebnisse erzielt“, sagte sie auf ihrer Abschlusspressekonferenz in Hamburg am Samstag. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres wertete das Treffen als Erfolg. Der Gipfel der Gruppe führender Wirtschaftsnationen sei „kein Fehlschlag“ gewesen, betonte Guterres in den ARD-„Tagesthemen“.

Nach dem Ende des G-20-Gipfels hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan allerdings die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens durch sein Land überraschend infrage gestellt. Das Parlament werde das Gesetz erst ratifizieren, wenn die Versprechen anderer Staaten eingehalten würden. Frankreich habe ihm zugesichert, die Türkei würde nicht als Industriestaat eingestuft werden.

Sein Abrücken steht im Widerspruch zu der Abschlusserklärung, in der sich die „G-19“ – und damit auch die Türkei – ausdrücklich zum Abkommen von Paris und dessen „zügiger“ Umsetzung bekannt hatten. Damit war zum ersten Mal in der Geschichte der G-20-Gipfel ein Dissens in der Abschlusserklärung festgeschrieben worden.

von

Günter Schwarz – 09.07.2017