Meinungsfreiheit in den USA – Das wird man ja wohl noch sagen dürfen
Der Nazi-Aufmarsch von Charlottesville befeuert eine alte Frage: Gilt Redefreiheit auch für die Feinde der Freiheit?
Nicht erst seit den Vorfällen von Charlottesville findet in den USA eine heftige Debatte darüber statt, was „Free Speech“, die freie Meinungsäußerung für das Land und die amerikanische Gesellschaft bedeutet. Fällt ein Aufmarsch von Neo-Nazis und dem Ku-Klux-Klan, rassistische und antisemitische Rufe unter das Grundrecht der Meinungsfreiheit, das in der US Verfassung verankert ist?
Ja, sagt eine der ältesten Bürgerrechtsbewegungen in den USA, die American Civil Liberties Union. Die ACLU ist vor allem als politisch eher linke Organisation bekannt. ACLU-Anwalt Lee Rowland sieht allerdings in der Meinungsfreiheit keinen Spielraum für politische Auseinandersetzungen.
„Eine der bekanntesten und kontroversesten in der ACLU Geschichte war, als wir den Aufmarsch von selbsternannten Nazis durch die Straßen von Skokie verteidigten, einer Stadt, in der viele Holocaust Überlebende wohnten“, Lee Rowland, ACLU-Anwalt.
Das Besondere an dem ersten Grundrecht sei, dass es die Bürger schütze, egal welchen Standpunkt, welche Überzeugung sie hätten.
Großkonzerne markieren Grenzen des Sagbaren. Zahlreiche Firmen wie Google, PayPal und GoDaddy erschweren rassistischen und rechtsextremen Gruppen in den USA schon seit längerem, ihre Geschäfte online zu tätigen. Man wolle hasserfüllte Inhalte nicht unterstützen, heißt es aus dem Silicon Valley. Nach den gewaltsamen Protesten in Charlottesville wurde die Haltung der „Free Speech“-Verfechter erneut hinterfragt.
Die New York Times und auch der Gouverneur von Virginia, Terry McAuliffe, kritisierten die ACLU, wie in einem Interview mit dem Radionetzwerk NPR: „Wir, die Stadt Charlottesville, hatten versucht, die Demonstration aus der Innenstadt in einen Park eineinhalb Meilen entfernt zu verlegen, ein offenes Feld. Dort hätte die Demo sein sollen. Wir wurden leider von ACLU verklagt und ein Richter gab ihnen Recht.“
„Free Speech“ wird in den USA von allen Seiten und für alle verteidigt. Was in europäischen Ländern undenkbar erscheint, ist Alltag in den USA. Man muss nur auf „amazon.com“ schauen, um zu verstehen, was die freie Meinungsäußerung in den Vereinigten Staaten bedeutet.
Im größten Internetkaufhaus der Welt findet man die berüchtigtsten Kinderbücher aus dem Dritten Reich, die im Nürnberger Stürmer Verlag veröffentlichten Hassschriften „Der Giftpilz“ und „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid’, und keinem Jud’ bei seinem Eid“.
Daneben Hakenkreuzfahnen, diverse andere Nazi Propagandamaterialien und nationalsozialistische Lieder wie das „Horst Wessel Lied“. Es ist ganz legal, so etwas in den USA zu vertreiben und zu erwerben. All das fällt unter die freie Meinungsäußerung.
„Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“, meinte schon vor 100 Jahren Rosa Luxemburg. Über diese, in der Theorie durchaus nachvollziehbare Forderung, wird derzeit in den USA heftigst diskutiert. Denn die Frage ist: Hat die Meinungsfreiheit Grenzen und wenn ja, wann sind diese erreicht?
Beispiele dafür gibt es schon jetzt, bei denen die in der amerikanischen Verfassung verankerte „Free Speech“ beschränkt wurde. Niemand darf in einem vollen Theater „Feuer“ rufen und damit eine Massenpanik auslösen.
Auch darf man nicht zur direkten Gewalt aufrufen, etwa fordern, der Präsident sollte erschossen werden. Das bedeutet, der Aufruf zur direkten Gewalt ist nicht immer von diesem absoluten und scheinbar unumstößlichen Grundrecht in den USA gedeckt.
von
Günter Schwarz – 27.08.2017