Der Weg von der Schule an die Uni und dann in die Arbeitswelt verläuft für die meisten jungen Dänen wie geschmiert und ohe jegliche Verzögerung. Doch wem das zu schnell geht, der nutzt in Dänemark gern eine Alternative mit Tradition: die Højskole (Volkshochschule).

Es ist Vormittag in der Højskole Odder, einer Kleinstadt an der Ostküste des dänischen Festlandes auf Jylland (Jütland) südlich von Aarhus. 25 Studierende sitzen in einem Kreis auf bunten Kissen auf dem Boden. Reihum erzählt jeder, wie es ihm momentan und allgemein geht, und nachdem jeder ein paar Worte gesagt hat, schaltet die Lehrerin des Kurses Body-&-Soul-Musik ein. Rhythmische Trommelschläge erklingen. Dann sagt sie: „Tanzt wie russische Erntemaschinen!“ Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt – das Eis bricht.

Fünf Monate werden die Studierenden in einer Gruppe von insgesamt rund 80 Personen in roten Ziegelbauten mitten im Grünen leben und lernen. Sie sind hier, um etwas über sich selbst zu erfahren, um neue Fertigkeiten wie beispielsweise Improvisationstanz zu erlernen. Einer von ihnen ist Morten Guld. In der Højskole war er von August bis Dezember 2014. Die fünf Monate haben sein Leben verändert, sagt der 25-Jährige.

Es herrscht kein Leistungsdruck an der Højskole, denn es gibt keine Prüfungen, kein Diplom und folglich auch keinen Leistungsdruck. „Das Ziel der dänischen Volkshochschulen war es von Anfang an, Menschen zu aktiven Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen und ihnen die Mittel in die Hand zu geben, etwas zu ändern“, sagt Andreas Harbsmeier vom Dachverband Højskolen. Sie basieren auf dem Konzept von Nikolai Frederik Severin Grundtvig (* 8. September 1783 in Udby auf Sjælland (Seeland); † 2. September 1872 in København), einem dänischen Philosophen, Poeten, Pädagogen und Pfarrer.

Grundtvigs Gegenentwurf zum elitären Schul- und Unisystem vor mehr als 170 Jahren lebt bis heute fort. Im gleichen Jahr wie Morten nutzten an die 5350 Menschen aller Altersklassen und Einkommensschichten das alternative Bildungsangebot.

Die Idee einer autonomen Schule für alle schlug in ganz Skandinavien Wellen. In den USA stand die Højskole Modell für das Highlander Research and Education Center. Große Persönlichkeiten der Bürgerrechtsbewegung wie Rosa Parks und Martin Luther King Jr. studierten an den Einrichtungen.

Dänemark zählt heute 70 dieser speziellen Volkshochschulen. Dänisches Design und europäischer Film, Ernährung oder Handball und auch eine Hochschule speziell für aktive Senioren finden sich auf der Landkarte alternativer Bildungseinrichtungen.

Es ist ein dänisches Entkommen, vielen jungen Dänen in der Højskole dem strengen Takt des klassischen Bildungswegs zu entkommen . Der Bachelorabschluss in Finanzwirtschaft kam für Guld zu schnell. Nach der Schule hatte er sofort mit dem Studium begonnen und es in Mindestzeit abgeschlossen. Dann stellte sich die Frage: Was jetzt? Er entschied, eine Pause einzulegen und sich auf sich selbst zu konzentrieren. Es folgten fünf Monate mit Unterrichtsstunden in Meditation, Salsa und Psychologie.

Noch heute schwärmt er von den Erfahrungen in Odder. „Meine Freunde haben gemerkt, dass ich mich stark verändert habe. Ich bin offener geworden. Wenn wir fortgehen, bin jetzt meistens ich der, der mit neuen Leuten redet.“

Durch die unkonventionellen Methoden der Højskole lernen die Kursteilnehmer schnell, sich zu öffnen. Unter dem Thema „Wellness“ schmieren sich Alexander (23) und seine Højskole-Kollegen gegenseitig beim verpflichtenden Gemeinschaftsabend Avocadomasken aufs Gesicht.

Tørring ist an der Højskole Hadsten in der Region Midtjylland 15 Kilometer südlich von Randers, weil er sich für die Aufnahme an der dänischen Journalistenschule DMJX in Aarhus vorbereitet. Das letzte Mal hat es bei der Prüfung nicht gereicht. Um für den nächsten Aufnahmetest im April besser gewappnet zu sein, ist er seit dem 16. August hier.

Bei aller künstlerischen Freiheit halten sich Højskole-Studierende doch an einen genauen Tagesplan. Das war für Tørring zunächst ungewohnt, nachdem er eineinhalb Jahre allein gewohnt hatte. Der Tag beginnt für ihn um 7:20 Uhr mit einem Frühstück, um 8 Uhr beginnt der Unterricht. Um 10 Uhr singen alle Studierende gemeinsam traditionelle Lieder. Um 13:00 Uhr wird zu Mittag gegessen. Danach geht es wieder in den Unterricht. Mindestens 22 Wochenstunden müssen die Teilnehmer belegen.

Für einige Monate verbringt man fast die gesamte Zeit in der Gemeinschaft. Man lernt, isst und verbringt seine Freizeit zusammen, wohnt in denselben Gebäuden. Es sind Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen – Leute vom Land, aus der Stadt, Uni-Studenten, Lehrlinge, Kunstaffine, Techniknerds und andere mehr. Guld und Tørring sprechen jedenfalls von einer wichtigen und intensiven Erfahrung für ihr Leben, das sie in der Gruppe gemacht haben.

Auch die psychische Gesundheit profitiert von diesem alternativen Bildungsweg, sagt Guld. In der Klasse „Body & Soul“ lernten Studierende über ihre Gefühle zu sprechen. Viele seien vor der Højskole unter psychischer Belastung gestanden. In der Klasse hätten sie sich dann komplett geöffnet. „Das ist doch viel besser, als Antidepressiva zu schlucken!“

Der dänische Staat langt für die Erhaltung der alternativen Bildungsstruktur in die Tasche des Kulturbudgets. Für jede Krone, die Guld und Tørring für die Zeit in der Højskole zahlten, legt die öffentliche Hand zwei Kronen drauf. Für Asylwerber, Arbeitslose und Studierende aus dem Ausland gibt es spezielle Stipendien. Momentan diskutiert die dänische Politik jedoch über eine Kürzung der Mittel.

Immer noch sind die Erfahrungen in Odder für Morten wichtig, wenn es um große Entscheidungen geht, erzählt Guld. Als sich das Masterstudium in Finanzwirtschaft als Fehlentscheidung herausgestellt hatte, konnte er daraus die Konsequenz ziehen – und entdeckte seine Leidenschaft für Rechnungswesen. „Die Højskole hat mir das Selbstvertrauen gegeben, mich noch einmal umzuentscheiden,“ sagt er. So kann er auch tanzen wie eine russische Erntemaschine und sich auf das Leben vorbereiten.

von

Günter Schwarz – 18.11.2017