Die dunkle Jahreszeit hat begonnen und auch die Temperaturen verleiten zu gemütlichen Abenden auf dem heimischen Sofa. Eingekuschelt in eine Decke und mit einem heißen Kakao braucht man dabei auch nicht sofort zur Fernbedienung greifen. Oftmals versprechen auch Bücher einen entspannten Feierabend und der Buchmarkt hat dazu eigentlich für jeden Geschmack etwas im Repertoire.

Wie unterschiedlich Geschmäcker sein können, haben wir schon bei unserem „kultur-INsite-Meeting“ festgestellt, zu dem wir uns bei einer Tasse Kaffee zusammengesetzt haben. Während Michael seinen Tolino eReader nach und nach mit Klassikern und einigen wenigen Neuerscheinungen belädt, stöbert Nastya gern stundenlang durch die Regale in Buchhandlungen, um sich dann spontan für einen Titel zu entscheiden, von dem sie irgendwann einmal gelesen oder gehört hat.

Dabei führt sie der Weg nicht immer nur in eines der großen Filialunternehmen, sondern gern auch in etwas engere Antiquariate oder gar auf Flohmärkte. Auch dort gäbe es oft recht neue Bücher, bestätigt sie. Lediglich die Suche nach bestimmten Titeln könnte etwas schwierig sein; wenn auch nicht unmöglich. „Sofies Welt von Jostein Gaarder wollte ich immer mal lesen.“, erzählt sie. „Irgendwann war ich dann auf dem Flohmarkt und habe ganz spontan nach dem Buch gefragt. Die Dame an dem Stand ging dann zielstrebig auf einen der großen Kartons zu und zog eine wunderschön gebundene Ausgabe des Romans aus einem Stapel Bücher.“ Dabei hat das Buch dann auch viel weniger gekostet als eine neue Ausgabe aus dem Buchladen. „Bei Preisen von bis zu 25 Euro pro Buch überlegt man sich das schon, ob und wen man gern liest.“, gesteht Nastya. „Nach dem Besuch in einem Antiquariat habe ich dann auch noch mal ein paar Euro über, um mir anschließend irgendwo einen Kaffee zu gönnen.“

Neben den großen Flohmärkten in der Innenstadt gibt es auch in Kiel solche wohl sortierten Antiquariate, auf die man stoßen wird, ohne lange nach ihnen zu suchen. Einig darüber sind wir uns, dass nicht nur Neuerscheinungen und aktuelle Bestseller einen tollen Leseabend liefern. Auch die sogenannten „Klassiker“ halten einige Überraschungen bereit, auf die es sich durchaus lohnt, sich einzulassen.

Kinga, unsere aus Polen stammende Verfechterin klassischer Literatur schwört dabei auf die Tiefgründigkeiten klassischer Romane. Für sie sei dabei auffällig, dass sich viele der neuen Bestseller einer sehr einfachen Sprache bedienen und außer einer mehr oder weniger spannend erzählten Geschichte, wenig zu bieten haben. In klassischer Literatur sei oftmals eine tiefer liegende Moral verborgen, über die es nachzudenken lohnt. Neben einer mehr oder weniger spannenden Geschichte geben Klassiker dem Leser also Überlegungen mit, die dabei helfen können die Gesellschaft oder auch sich selbst besser zu verstehen.

Eine ganz ähnliche Auffassung hat Michael, der ebenfalls ein begeisteter Leser russischer und deutscher Klassiker ist. „Wenn man ein gewisses Alter erreicht hat und viele Dinge nicht mehr mit der Leichtfüßigkeit der Jugend betrachtet, kann man sich dabei ertappen, vielleicht etwas zu verbittert oder negativ auf die Welt zu schauen.“, sagt der inzwischen 49jährige. „Wenn man dann, vielleicht in einem Anflug von Selbstmitleid Dostojevskis Aufzeichnungen aus einem Kellerloch liest, wird man sicherlich etwas schmunzeln und sich die Frage stellen, wie sehr man sich wirklich in seinem eigenen Selbst-Leid aalen möchte.“ „Klassische Literatur verändert die Art und Weise, mit der ich die Welt sehe.“, bestätigt die 20jährige Polin Kinga. „Kafkas Verwandlung wird die Frage aufwerfen, wo ich in meiner Familie stehe, während Kafkas Prozeß aufzeigt, dass unsere Position innerhalb einer Gesellschaft auf wackligeren Füßen stehen könnte, als wir vielleicht selbst glauben.“ „Über solche Dinge muß man einfach nachdenken!“, betont Kinga mit Nachdruck.

Natürlich gibt es auch moderne Romane, die genug Munition haben, solche Fragen aufzuwerfen. Oftmals werden die Krimis, Thriller oder andere Romane aus der Bestseller-Ecke allerdings kaum mehr Nachhalt haben, als der abendliche Spielfilm im Privatfernsehen. Klassiker der Literatur liefern da ungleich mehr Zündstoff für anregende Überlegungen oder auch Diskussionen. Welche Anforderungen man an ein Buch stellt, muss natürlich jeder Leser selbst entscheiden. Eine Alternative zu einem eher einfältigen Fernsehprogramm ist ein gutes Buch jedoch allemal – ganz egal, ob Klassiker oder Neuerscheinung.

Michael, 19.11.2017