Schwieriger Weg zu neuer Regierung mit gleichen Akteuren
(Berlin) – Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen deutet vieles auf Neuwahlen hin. Deutschland steuert nach dem Abbruch der Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen auf Neuwahlen zu. Vorausgesetzt, die SPD bleibt bei ihrer Aussage, der CDU/CSU nicht für eine weitere Große Koalition zur Verfügung zu stehen. Die Vorsitzenden der beiden Parteien, Angela Merkel und Martin Schulz, ließen am Montag klare Präferenz für eine Neuwahl erkennen – dann aber unter ganz anderen Vorzeichen als zuletzt.
Die Alternativen – eine Minderheitsregierung der Union oder Wiederauflage der Großen Koalition mit der SPD – scheinen unwahrscheinlich. Auch bei den Akteuren scheinen Alternativen Mangelware. Zur neuen Wahl könnten sich dieselben stellen wie vor zwei Monaten, allerdings einen ganz anderen Wahlkampf führen. Immerhin gälte es, Fehler vom September nicht zu wiederholen.
Theoretisch wäre auch eine Minderheitsregierung möglich. Diese Variante gilt jedoch als unwahrscheinlich. Sie sei vielleicht in kleinen Staaten wie Dänemark, Belgien oder Island möglich, nicht aber im wichtigsten Staat in Europa und einem der wichtigsten auf der Weltbühne, so ein Kommentar der „Süddeutschen Zeitung“. Für jeden Gesetzesbeschluss wäre dann die mühsame Suche nach Mehrheiten notwendig.
Eine Minderheitsregierung wäre auch in internationalen Fragen wenig stabil. Das werde aber von Deutschland erwartet, sagte etwa der grüne Politiker Jürgen Trittin. Er glaube daher, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier statt einer solchen Regierung den Weg der Neuwahlen gehen würde. Die meisten öffentlichen Äußerungen anderer Politiker gehen in die gleiche Richtung.
Ungewöhnlich ernst packte Steinmeier in einer Rede am Montag alle Parteien bei der Ehre: „Wer sich in Wahlen um politische Verantwortung bewirbt, der darf sich nicht drücken, wenn man sie in den Händen hält.“ Das Wort „Neuwahl“ nahm er nicht in den Mund. Geht es nach ihm, sollen nun alle Beteiligten noch einmal innehalten und ihre Haltung überdenken.
In den kommenden Tagen spricht er mit den Chefs aller an den Sondierungen beteiligten Parteien sowie der SPD. Doch Jamaika scheint ebenso vom Tisch wie eine Wiederauflage einer Großen Koalition mit CDU/CSU und SPD. Schulz lehnte diese am Montag erneut dezidiert ab und forderte stattdessen Neuwahlen. Dafür erhielt er offensichtlich auch einmütige Rückendeckung im Parteivorstand. Dem Modell einer Minderheitsregierung erteilte Schulz ebenfalls eine Absage.
Die SPD muss sich schnell Gedanken machen, ob sie Schulz im Falle von Neuwahlen erneut als Kanzlerkandidat ins Rennen schicken würde. Am 07. Dezember steht ein Parteitag an, wo die Wiederwahl des Vorsitzenden ansteht. Er werde als Vorsitzender „zu gegebener Zeit“ von seinem Recht Gebrauch machen, einen Vorschlag für die mögliche „K-Frage“ zu machen, sagte Schulz und signalisierte vorsichtig, dass er sich für befähigt hält, es in einem zweiten Anlauf besser zu machen. Für Schulz spricht, dass die 20-Prozent-SPD gut abwägen muss, ihren eigenen Vorsitzenden zu demontieren.
Die Gegnerin bei einer denkbaren Neuwahl würde wieder Merkel heißen. Ihre Zusicherung, das Amt der Bundeskanzlerin für volle vier Jahre zu übernehmen, sei gerade einmal zwei Monate her, sagte Merkel. „Es wäre sehr komisch“, wenn sie den Wählern nun allein aufgrund der FDP-Entscheidung sage: „Das gilt nicht mehr.“ An Rücktritt habe sie nach dem Ende der Jamaika-Sondierungen nicht gedacht: „Nein, das stand nicht im Raum.“
Eine Minderheitsregierung lehnte Merkel ab. „Ich glaube, dass dann Neuwahlen der bessere Weg wären“, sagte sie. Viele Medien sehen Merkel jedoch angeschlagen, da das Scheitern von „Jamaika“ auch ihr Scheitern sei. Ob sie die Union bei Neuwahlen über die enttäuschenden 33 Prozent von September bringen kann, ist freilich offen.
Auch Merkel wird wohl aus ihrem recht blutleeren Wahlkampf gelernt haben. Ohnehin fehlen der CDU Alternativen zu der lange Zeit unangefochtenen Parteichefin. Zum einen sei die Union ohnehin nicht schnell beim Absägen von Persönlichkeiten, so ein Beobachter der „Süddeutschen Zeitung“ und zum anderen stehe hinter Köpfen wie Friedrich Merz keine organisierte Hausmacht.
In einer Forsa-Umfrage für das RTL/n-tv-Trendbarometer sprachen sich unterdessen 49 Prozent der Befragten dafür aus, dass Merkel wieder als Kanzlerkandidatin der Union antreten solle. Bei den CDU-Anhängern sind 85 Prozent dieser Meinung, bei der CSU 69 Prozent. Nur 29 Prozent finden, Schulz sollte es noch einmal machen, gut die Hälfte der SPD-Anhänger waren dieser Meinung. 45 Prozent der Befragten befürworteten der Umfrage zufolge erneute Wahlen. 27 Prozent hätten gern wieder eine Große Koalition, und 24 Prozent sind für eine Minderheitsregierung. Mehr als die Hälfte habe kein Verständnis für die Entscheidung der FDP, die Sondierungen abgebrochen zu haben.
Anders als bei der CDU mit Merkel sieht es für die Schwesterpartei CSU aus, die das Aus von „Jamaika“ mitten im Machtkampf um Horst Seehofer trifft. 2018 steht in Bayern die Landtagswahl an, nur wenn die CSU hier ihre absolute Mehrheit verteidigen kann, wird sie auf Dauer ihr bundespolitisches Gewicht beibehalten können. Erste Stimmen erklärten, dass es nun erst recht nicht ohne Seehofer gehe – andere forderten seinen Rückzug, zumindest als Ministerpräsident.
Das letzte Wort hat aber Seehofer selbst, die bayerische Verfassung sieht kein konstruktives Misstrauensvotum zur Amtsenthebung vor. Sollte es nun aber zur Neuwahl kommen, könnte das tatsächlich Seehofers politisches Ende sein. Die Richtung weisen könnte eine Vorstandssitzung, die für Donnerstagabend angesetzt wurde.
Die Träume vom Mitregieren zerplatzt sind mit dem Scheitern von „Jamaika“ für die Grünen. Doch zeigten sie sich bei den Sondierungen kompromissbereit und geschlossen. Da sie bei ihren Kompromissangeboten allerdings sehr weit gingen, bleibt abzuwarten, wie das die Wählerinnen und Wähler im Falle von Neuwahlen bewerten. Ein erster Indikator dafür, ob ein Flügelstreit erneut ausbricht, wird der Grünen-Parteitag am Samstag sein.
Fragen offen lässt der Verhandlungsabbruch der FDP. Parteichef Christian Lindner begründete das Aus damit, dass die FDP ihre Grundsätze aufgeben hätte müssen und ihren Wählern die versprochenen „Trendwenden“ schuldig geblieben wäre. „Er sucht sein politisches Heil darin, die FDP auf nationalliberalen Kurs zu drehen. Sein gefährliches Vorbild ist klar: der Erfolg des noch jüngeren Österreichers Sebastian Kurz“, schreibt der „Spiegel“.
Vielleicht hatte die FDP nach vier Jahren Abwesenheit vom Bundestag Angst, dass sie für die Teilnahme an einer Kompromissregierung bei der nächsten Wahl mindestens so schwer abgestraft werden würde wie 2013, heißt es in anderen Pressekommentaren. Nach Ansicht von Forsa-Chef Manfred Güllner würde die FDP von Neuwahlen allerdings nicht profitieren.
Nutznießer von Neuwahlen könnte die AfD sein. Das derzeitige politische Chaos könnte die Zahl der Protestwähler vergrößern. Auch das Feindbild Merkel käme der AfD offenbar nicht abhanden. Neuwahlen braucht aus diesen Gründen übrigens auch die Linke nicht fürchten.
von
Günter Schwarz – 21.11.2017