
Dänemark im Vorsitz des Europarates „sägt“ an den Menschenrechten
Wer hätte das gedacht: Die Menschenrechte geraten weltweit ins Wanken – und Dänemark rüttelt kräftig mit an diesen Rechten. Dabei sind es gerade die Menschenrechte, die Menschen von der Flucht vor Armut oder Verfolgung abhalten können, sagt Jan Diedrichsen, Leiter des Sekretariats der Deutschen Volksgruppe in København und Leiter der Vertretung des Schleswig-Holsteinischen Landtages bei der Europäischen Union in Brüssel.
Dänemark hat seit dem 15. November 2017 für ein halbes Jahr den Vorsitz des Europarates inne. Der Europarat ist mit 47 Mitgliedsstaaten die geografisch am weitesten fassende Organisation Europas und beschäftigt sich mit allgemeinen europäischen Fragen. Als größte Errungenschaften der Zusammenarbeit gilt die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950. Die EMRK gilt neben der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen als das Referenzdokument der Menschenrechte weltweit.
Die Menschenrechte stehen mit ihren Verträgen und Protokollen derzeit besonders durch rechte und konservative Parteien zunehmend unter Druck. Auch Dänemark trägt mit seiner durch die rechtspopulistische Dansk Folkeparti (Dänische Volkspartei) getriebene konservative Minderheitsregierung unter Lars Løkke Rasmussen (Venstre / Rechtsliberale Partei) dazu bei, den Kessel der Diskussion über die Zukunft der Menschenrechte anzuheizen. Der dänische Justizminister Søren Pape Poulsen (Det Konservative Folkeparti) hat kürzlich im Parlament – Bezug nehmend auf den Koalitionsvertrag und jüngste Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – erklärt, Dänemark wolle die EMRK neu verhandeln; sogar das Austreten aus der Konvention wird erwogen.

Dänischer Justizminister Søren Pape Poulsen (Det Konservative Folkeparti)
Man sollte sich der enormen Verantwortung Europas als „Verteidiger der Menschenrechte“ bewusst sein: Die anerkannte „Foreign Policy“-Zeitschrift aus den USA hat kürzlich die angebrochene „Post-Human Rights World“ ausgerufen. Der sozialkritische und äußerst lesenswerte indische Essayist und Autor Pankaj Mishra spricht mit viel Pessimismus von dem neu anbrechenden „Zeitalter des Zorns“. Damit werden nicht nur die Diktaturstaaten angesprochen, die sich nicht einmal mehr die Mühe geben, sich mit Lippenbekenntnissen zur Unveräußerlichkeit der Menschenrechte zu bekennen.
Auch der in Europa aufkommende Nationalismus stellt die Menschenrechte in ihrer Universalität infrage. In einer globalisierten Welt, in der jeder Staat sich selbst am nächsten fühlt, scheint wenig Platz für allgemeine Menschenrechte. Mit Blick auf die Flüchtlings- und Migrationsbewegungen beschleicht einen der Verdacht, dass so mancher mit Blick auf das näher rückende Elend der Welt, am liebsten die moralische Verpflichtung, die sich aus den Allgemeinen Menschenrechten ergibt, ausblendet, um den eigenen Wohlstand moralisch nicht infrage stellen zu müssen. Nach dem Motto, was kann ich dafür, dass es der Welt so schlecht geht?
Die Erklärungen der Menschenrechte galten nach den Greueltaten der Weltkriege als Lichtblick und Keim der Zuversicht, dass die Menschheit sich zumindest auf einen Grundkonsens der Rechte, für alle Menschen, einigen konnte. Das hat sich geändert. Mit der Wahl von Donald Trump als Präsident regiert in den USA ein Mann, der sich ganz offen gegen Menschenrechte erklärt, wie bei seiner ostentativen Zustimmung zur Folter. Mit seiner demonstrativen Nähe zu den Despoten dieser Welt hat die USA begonnen, den Menschenrechten den Teppich unter den Füßen wegzuziehen.
Länder wie China, Indien, Russland haben mit nationalen Gesetzen einen Feldzug gegen die Zivilgesellschaft legitimiert, die sich für die Menschenrechte in ihren Ländern einsetzt. Menschenrechtsorganisationen wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) oder Human Rights Watch machen laufend darauf aufmerksam, dass sich die Menschenrechte in der Defensive befinden und dass Europa endlich lauter werden und für die Menschenrechte kämpfen muss.
Ich würde mir wünschen, dass Dänemark die Zeit als Vorsitzland im Europarat nutzt: Dänemark könnte die Vorreiterrolle Europas im Kampf für die Menschenrechte propagieren. Auch aus (innenpolitischen) Eigeninteressen heraus: Denn sollten die Menschenrechte und ihre weltweite Bedeutung weiter wegbrechen, werden die Menschen aus ihren Ländern flüchten, um Frieden, Freiheit, Wohlstand und eben Menschenrechte zu erleben, wie sie in Dänemark selbstverständlich sind.
von
Günter Schwarz – 27.11.2017