(Osnabrück / Bielefeld) – Ist der Islam die Ursache für die Radikalisierung vieler Jugendlicher? Oder werden religiöse Begründungen von Extremisten nur vorgeschoben? Ein Forschungsprojekt der Universitäten Osnabrück und Bielefeld will in den nächsten zwei Jahren mehr Klarheit darüber schaffen.

Einen genaueren Blick auf die Radikalisierung junger gewaltbereiter Islamisten wollen die Universitäten Osnabrück und Bielefeld in einer neuen Studie werfen. Dabei gehe es vor allem um die Frage, ob junge Muslime aufgrund ihrer Religiosität besonders empfänglich sind für radikale Einstellungen und gewaltbereite Haltungen, oder ob die Religion für die Islamisten nichts als ein Vorwand ist, Gewalttaten zu rechtfertigen, sagte der Osnabrücker Islamwissenschaftler Michael Kiefer.

„Die Debatte dreht sich um die Frage, haben wir es mit einer ,Islamisierung der Radikalität‘ zu tun, oder gibt es eine sukzessive Radikalisierung der islamischen Milieus“, sagte Kiefer. Für das Forschungsvorhaben wollen die Wissenschaftler Chats und Diskussionsforen in sozialen Netzwerken analysieren, aber auch Erfahrungen von Experten aus der Präventionsarbeit auswerten.

Die beiden Thesen werden laut Kiefer beispielhaft vertreten von den französischen Forschern Gilles Kepel und Olivier Roy. Kepel vertrete die These, der Islam habe sich seit geraumer Zeit radikalisiert. Tödliche Anschläge in Frankreich und Belgien, wie etwa auf das Satireblatt „Charlie Hebdo“, auf das Konzerthaus „Bataclan“ oder auf den Flughafen in Brüssel, hätten ihren Ursprung in radikalen muslimischen Milieus.

Der Politikwissenschaftler Roy steht für die These, es habe eine Islamisierung der Radikalität stattgefunden, der Islam liefere also nur eine Pseudo-Begründung für Gewalttaten. Als Beleg gelte ihm die Lebensführung der Attentäter, die oft von Drogenkonsum und Kriminalität geprägt sei, sagte Kiefer. Den Islam hätten sie erst spät entdeckt, und sich ihn auf eine krude und einfältige Art angeeignet.

„Wir können Belege für beide Ansätze finden“, sagt Kiefer dazu. Die Frage, warum ein Jugendlicher sich dem Islamismus zuwende, hänge sicher von vielen Faktoren ab, sagte Kiefer. „Wir sprechen von einem multifaktoriell beeinflussten Prozess.“ Zu berücksichtigen sei die persönliche Situation, Erfahrungen und Erlebnisse, die ihn subjektiv geprägt hätten.

Die Studie wolle auch der Frage nachgehen, ob eine bessere religiöse Bildung gegen Radikalisierungen immun machen könne, sagte Kiefer. Es sei ja ein Argument für die Einführung des islamischen Religionsunterrichts an den Schulen gewesen, dass dieser einen reflektierten Umgang mit den historischen Quellen der Religion ermögliche. Auch wollen die Forscher genauer wissen, bis zu welchem Punkt die radikalisierten Jugendlichen noch für Argumente Andersdenkender offen seien. „Wir hoffen, dass wir für die präventive Praxis Empfehlungen aussprechen können“, sagte Kiefer.

Trotz der Zerschlagung des Netzwerks des Hasspredigers Abu Walaa vor gut einem Jahr und der Anklage des mutmaßlichen Deutschland-Chefs der IS-Terrormiliz wächst die radikale Salafistenszene weiter. In Nordrhein Westfalen und Niedersachsen vermelden die Behörden eine weiter steigende Zahl von Islamisten.

von

Günter Schwarz – 05.01.2018