kultur INsite – Kultur hat keinen „Stand“
Die „Kultur“ steckt in einer tiefen Krise, heißt es. Im Mittelpunkt der Sorge stehen Kulturschaffende, Theater, Museen und selbst Literatur. In der Tat neigen klassische Sparten unserer Kultur zu einem Rückgang. Gleichzeitig entstehen aber auch immer neue Ausdrucksformen, die man der „Kultur“ zurechnen sollte.
Während die Kinder früherer Generationen des Nachts heimlich eine Ausgabe von Mobby Dick unter der Bettdecke lasen, schauen die Kids von heute vielleicht Youtube-Videos oder Instagram-Accounts. Während früher das Theater ein wesentlicher Bestandteil im sozialen und kulturellem Leben darstellte, so sind es heute Fernsehen und Game-Shows. Man kann also unmöglich vom „Sterben der Kultur“ sprechen, sondern allenfalls von einer Verlagerung.
Dass auch „alte“ oder „klassische“ Kulturformen erhaltenswert wären, steht dabei ganz außer Frage. Um diese jedoch mit einem kulturellen Verständnis zu verknüpfen, müsste sie auch von der Bevölkerung verstanden werden. Wie in vielen anderen politischen und auch sozialen Dingen geht dabei ein tiefer Riss durch die Gesellschaft. Da gibt es die Einen, die diese klassische Kultur als wertvoll erachten und ein ungleich größerer Teil von Menschen, die sich mit all diesem „alten Kram“ überhaupt nicht identifizieren wollen. Dahinter steht selten eine böse Absicht, sondern vielmehr fehlende Berührungspunkte oder auch Bildung.
Die Herausforderung bei der Vermittlung klassischer Kultur ist nicht die Präsentation, sondern das Verständnis. Obwohl hier das Stichwort „Bildung“ bindend ist, kann man nicht von einer kurzfristigen Lösung ausgehen. Kulturelles Verständnis ist nicht Ausdruck eines möglichst akademischen Bildungsgrades, sondern vielmehr das Ergebnis soziologischer Prozesse und grundsätzlicher Geisteshaltung. Variablen also, die nicht festgeschraubt sind, sondern sich einem stetigen Wandel unterwerfen. Man kann einen Schüler durchaus dazu zwingen, diesen oder jenen Text zu lesen. Unter Umständen wird es vielleicht sogar gelingen, dass der Schüler diesen Text dann mag oder schön findet. Ob der Schüler dann jedoch dazu bereit ist, diesen Text in sein kulturelles Selbstverständnis zu implementieren, stünde auf einem ganz anderen Blatt.
Der empörte Ausruf „Kultur sei nur etwas, für „die da Oben“, trifft also zu – lässt sich aber kurzfristig mit Bordmitteln nicht beheben. Unter dem Strich kann man aufatmen: die Kultur stirbt nicht. Sie verändert sich nur. Dabei gewiss leider auch in eine Richtung, die unserer friedlichen Gesellschaft nicht sehr zuträglich ist. Die Fähigkeit aus der Vergangenheit oder Kultur zu lernen, setzte voraus, dass man die Vergangenheit oder Kultur zunächst einmal kennt. Und da liegt der Hase im Pfeffer. Ganz unabhängig davon, ob wir von einem Heranwachsendem in einem Problemviertel oder von einem jungen Akademiker reden. Kultur hat keinen „Stand“.