(Istanbul) – Deniz Yücel verliess das Gefängnis nach mehr als einem Jahr Haft und ist auf dem Weg nach Deutschland. Nach seiner Freilassung empfing ihn zuerst Ehefrau Dilek. Zuvor war der „Welt“-Korrespondent formal angeklagt worden. Doch das Gericht ordnete seine sofortige Freilassung aus der Untersuchungshaft an.

Der Journalist Deniz Yücel kommt womöglich noch im Laufe des Tages nach Deutschland zurück. Außenminister Sigmar Gabriel sagte am späten Nachmittag, Yücel sei auf dem Weg zum Flughafen in Istanbul. Zuvor war der „Welt“-Korrespondent aus dem Gefängnis freigekommen. Wohin Yücel nun fliege, sei allerdings seine Sache, sagte Gabriel als er Yücels Redaktion besuchte. „Deniz Yücel kommt nach 367 Tagen frei!“, steht auf der Leuchttafel auf dem Axel-Springer-Haus in Berlin.

Deutsche Politiker stellen die Freilassung des Journalisten Yücel als Erfolg der Diplomatie hin. Geholfen hat sicher, dass die Türkei auf gute Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland angewiesen ist. Ob bei der Haftentlassung des Journalisten ein Deal ein Rolle spielte, nährt sicher die „Gerüchteküche“. Außenminister Gabriel betonte jedoch noch einmal, dass es für die Freilassung keine Gegenleistung gegeben habe.

Politische Einflussnahme habe es allenfalls bei der „Verfahrensbeschleunigung“ gegeben. Der Außenminister hatte sich in den vergangenen Wochen deshalb zwei Mal inoffiziell mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan getroffen.

Auch Alt-Kanzler Gerhard Schröder traf sich laut Berichten des Rechercheverbunds von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ mit Erdogan. Bei dem Treffen Ende Januar habe sich Schröder für Yücel eingesetzt, hießt es. Gabriel hatte Schröder bereits vor Monaten gebeten, „in der Türkei Türen zu öffnen“. Nachdem Schröder vermittelt hatte, kam im vergangenen Oktober der Menschenrechtler Peter Steudtner frei.

Der Fall Yücel zeige, dass beharrliche Diplomatie zum Erfolg führen könne, betonte Gabriel. Aktuell sind noch fünf Deutsche wegen politischer Vorwürfe in der Türkei inhaftiert. Gabriel sagte, es gehe nun darum, „dass wir jetzt das Momentum nutzen müssen“. Zudem rief er dazu auf, „alle Gesprächsformate“ wieder in Gang zu setzen, um bei grundsätzlichen Fragen zwischen der Türkei, Europa und Deutschland voranzukommen. „Wir haben eine Vertrauensgrundlage geschaffen, in der das möglich ist. Wir sollten jetzt nicht nachlassen.“

Ein türkisches Gericht hatte zuvor Yücels Freilassung nach Vorlage einer Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft angeordnet. Die Anklage fordert bis zu 18 Jahre Haft für den „Welt“-Korrespondenten. Die „Welt“ berichtet, es sei keine Ausreisesperre verhängt worden.

Yücels Anwalt zeigte bei Twitter ein Bild, das Yücel kurz nach seiner Freilassung zeigt. Auf der Aufnahme ist zu sehen, wie er seine Ehefrau Dilek Mayatürk umarmt. Aus Kreisen des Gefängnispersonals in Silivri hieß es, Yücel sei von Mitarbeitern des deutschen Generalkonsulats in Istanbul abgeholt worden. Anschließend kehrte der 44-Jährige zunächst mit seiner Frau in seine Istanbuler Wohnung zurück.

Trotz der Freilassung Yücels soll in der Türkei ein Strafverfahren gegen den „Welt“-Korrespondenten eröffnet werden. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete, das 32. Strafgericht in Istanbul habe Yücels Freilassung angeordnet, zugleich aber die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft angenommen. Die Staatsanwaltschaft fordert zwischen vier und 18 Jahren Haft für Yücel.

In der Anklageschrift wird dem Journalisten „Propaganda für eine Terrororganisation“ und „Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit“ vorgeworfen. Bei den Terrororganisationen handelt es sich der Anklage zufolge um die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen. Die türkische Regierung macht die Gülen-Bewegung für den Putschversuch vom Juli 2016 verantwortlich.

Die Anklage basiert vor allem auf Artikel Yücels. Darüber hinaus führt die Staatsanwaltschaft in der lediglich drei Seiten umfassenden Anklageschrift nur Bücher Gülens, die bei einer Hausdurchsuchung gefunden wurden, und telefonische Kontakte Yücels zu Terrorverdächtigen als Beweismittel an. Gülen war bis zu einem offenen Zerwürfnis im Jahr 2013 ein enger Vertrauter des heutigen Staatspräsidenten Erdoğan.

von

Günter Schwarz – 17.02.2018