Polnischer Ministerpräsident sorgt für Eklat mit Bezichtigung von „jüdischen Tätern“ im NS-Regime
(München) – Der polnische Ministerpräsident Morawiecki hat auf der 54. Münchner Sicherheitskonferenz für einen Eklat gesorgt. Im Zusammenhang mit dem Holocaust sagt er, es habe auch „jüdische Täter“ gegeben. Sein israelischer Amtskollege Netanjahu nannte die Aussage abscheulich. Hintergrund ist das neue Holocaust-Gesetz im Polen. Es verbietet, Polen für die NS-Verbrechen verantwortlich zu machen. Kritiker argumentieren, die Nazis hätten während der Judenvernichtung auch Hilfe von der polnischen Bevölkerung erhalten.
Welche negative Folgen rechte, nationalistische Politik im friedlichen Zusammenleben der Völker haben, demonstrierte gerade der polnische Ministerpräsident Morawiecki in München. Zwischen Israel und Polen droht weiterer Streit über das neue polnische Holocaust-Gesetz, als er bei der Sicherheitskonferenz in München erklärte, dass es in der NS-Zeit neben deutschen auch polnische, russische, ukrainische und „jüdische Täter“ gegeben habe. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu nannte Morawieckis Aussagen „empörend“ und kündigte ein „unverzügliches Gespräch“ mit ihm an.
Eigentlich sollte Mateusz Morawieckis Deutschlandbesuch seit Freitag der Entschärfung der angespannten Lage dienen. Als der polnische Premierminister bei Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin zu Gast war, versuchte er sich als wirtschaftsorientierter Pragmatiker zu präsentieren und warb für einen „New Deal“. Heiklen Themen der Journalisten wich er aus oder spielte sie herunter. Unbequeme Fragen quittierte er mit der Empfehlung, „man solle aus einer Mücke keinen Elefanten machen“. Das wohl schwierigste Thema im bilateralen Verhältnis, deutsche Reparationen für den Zweiten Weltkrieg, sprach er nicht mal an.
Von Berlin aus ging es weiter zur Münchner Sicherheitskonferenz. Dort sollte es offenbar so weitergehen, wie zuvor. Doch es kam anders. Bei der hochrangig besetzten Sicherheitskonferenz sprach der polnische Premierminister zu einem gewichtigen internationalen Publikum.
Eigentlich wollte Morawiecki dort ein modernes, europäisches Gesicht seiner Regierung zeigen. Nicht eines, das ewig auf das Kriegstrauma des eigenes Landes fixiert ist. Aber als er von einem Journalisten zu Polens sogenanntem „Holocaust-Gesetz“ befragt wurde, leistete er sich einen Satz, der für einen diplomatischen Eklat sorgt. Statt wie geplant zu beschwichtigen, eröffnete er damit auf seiner Deutschlandreise ein neues Kapitel der polnisch-israelischen Krise. Das neue „Holocaust-Gesetz“ verbietet es, dem polnischen Volk oder dem polnischen Staat jedwede Mitverantwortung für die Gräueltaten der Nazis zuzuschreiben.
Es war ein israelischer Journalist, der den polnischen Ministerpräsident fragte, ob er sich strafbar machen würde, wenn er von der Geschichte seiner Familie erzähle, die während des Zweiten Weltkriegs von polnischen Nachbarn gegenüber der Gestapo denunziert werden sollte. Die Familie überlebte nur, weil sie sofort floh, als sie davon erfuhr. „Mache ich mich jetzt strafbar, wenn ich diese Geschichte erzähle? Was haben sie mit so einem Gesetz beabsichtigt?“, fragte Ronen Bergman, der als Autor für die New York Times schreibt, unter Beifall.
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Morawiecki erwiderte dem Fragesteller: „Nein, man muss keine Strafe fürchten, wenn man behauptet, dass es polnische Täter gab“. Doch der Premierminister machte keinen Punkt, sondern fuhr fort mit den Worten: „… so wie es jüdische Täter gab, so wie es russische Täter gab, so wie es ukrainische und nicht nur deutsche Täter gab“.
Die Formulierung „jüdische Täter“ sorgt für Empörung. Eine Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, der auch zu Gast in München ist, nannte die Äußerungen von Morawiecki „empörend“.
Er twitterte: „Hier haben wir ein Problem der Unfähigkeit, Geschichte zu verstehen, sowie fehlendes Gefühl für die Tragödie unseres Volkes“. Netenjahu sieht „unverzüglichen Gesprächsbedarf“ mit Morawiecki. In München klappte das aber nicht mehr, da der polnische Regierungschef noch gestern, am Samstagabend, zurück nach Warschau flog.
In Israel hagelte es unterdessen Kritik aus allen politischen Lagern. Langsam gibt es auch in Polen durchaus immer mehr kritische Stimmen – auch aus dem national-konservativen Lager. Dort wurden das Gesetz und sein Konfliktpotential offenbar unterschätzt. Jetzt, wo es verabschiedet ist, fordern immer mehr Kritiker eine Änderung. Eine Beraterin des polnischen Präsidenten Andrzej Duda nannte das Gesetz „idiotisch“ und empfahl ebenfalls Änderungen.
Zwischen Polen und Israel gibt es seit Wochen Spannungen wegen des umstrittenes Holocaust-Gesetzes. Die israelische Regierung hat die neue Regelung scharf kritisiert. „Man kann die Geschichte nicht ändern, und der Holocaust kann nicht geleugnet werden“, erklärte Natenjahu bereits, als das Gesetz noch im Parlament
in Warschau beraten wurde.
Auch die Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem kritisierte die polnische Regelung. Sie verharmlose den Anteil der Komplizenschaft von Teilen der polnischen Bevölkerung bei Verbrechen gegen Juden entweder direkt oder indirekt, hieß es in einer Stellungnahme.
Trotz des internationalen Drucks entschied sich Präsident Duda Anfang Februar, das Gesetz zu unterzeichnen. Aus Rücksicht auf die Kritiker, die befürchten, das Gesetz könnte „den Überlebenden den Mund knebeln“, empfahl er aber eine Prüfung durch das Verfassungsgericht.
Dennoch wird das Gesetz in Kraft treten, sobald es im Amtsblatt der Regierung veröffentlicht ist. Die Regierung in Warschau erklärte, die Regelung solle dem irreführendem Begriff „polnische Konzentrationslager“ in internationalen Medien ein Ende setzen und den guten Ruf des Landes schützen. Doch der Begriff als solcher wird im Gesetzestext nicht explizit erwähnt, bemängeln die Kritiker. Sie werfen der Regierung vor, sie habe den Begriff erst bekannt gemacht.
In München zeigte Morawiecki, dass der nationalistischen polnischen Führung offenbar erneut das nötige Fingerspitzengefühl auf der internationalen Bühne fehlt. Der aktuelle Eklat ist die Folge.
von
Günter Schwarz – 18.02.2018