Die „Mohren“ – verdrängter Teil aus der europäischen Geschichte
(Frankfurt/M.) – Zuletzt erhitzte die Debatte um die Bezeichnung „Mohren-Apotheke“ in Frankfurt/M. die Gemüter. Doch was hat es mit den Mohren auf sich, welche Rolle spielten sie in der deutschen und auch europäischen Geschichte? Beim aktuellen Bild des Mohren handelt es sich um einen gravierenden Fall europäischen Geschichtsrevisionismus.
Die aktuelle Diskussion begann mit einer Initiative der kommunalen Ausländervertretung, in Frankfurt/M. zwei Apotheken mit den Namen „Mohren-Apotheke“ und „Zeil-Apotheke zum Mohren“ umzubenennen. Auch die Inhaberin der „Hofapotheke zum Mohren“ in Friedberg macht sich Sorgen, dass auch sie Opfer der Namenszensur werden könnte und initiierte nun eine Unterschriftenaktion. Die Resonanz bei Kunden und auch Nichtkunden ist überwältigend.
Die kommunale Ausländervertretung in Frankfurt/M. trat dafür ein, zwei Apotheken umbenennen. Es handelt sich um die „Mohren-Apotheken“. In einem Antrag an die Stadtverordnetenversammlung und den Magistrat fordert sie diesen auf, sich dafür einzusetzen, dass rassistische Bezeichnungen und Logos aus dem Stadtbild Frankfurts entfernt werden. Das Medienecho war groß, trifft die Debatte doch einen Nerv der Zeit.
Der „Mohr“ als Stereotyp im Karneval
Doch das ist nur ein kleiner Teil der Geschichte
Hin und wieder begegnet er einem: Shakespeares Othello ist nur ein Beispiel. Gerade die Apotheken, die das umstrittene Bildnis des Mohren als Markenzeichen verwenden, sind dabei auch ein Tor zu einem Teil europäischer Geschichte, der nicht nur in Vergessenheit geriet, sondern verfälscht und in sein Gegenteil verkehrt wurde.
Zumindest etwas Licht in dieses Kapitel europäischer und nordafrikanischer Geschichte bringen die noch etwa einhundert „Mohren-Apotheken“ die im gesamten Bundesgebiet existieren. Nicht selten handelt es sich um die ältesten der Stadt. Wie etwa die Nürnberger „Mohren-Apotheke zu St. Lorenz, die demnach im Jahr 1442 erstmals erwähnt wurde, und somit die älteste Apotheke in Nürnberg“ ist. Auch zu jener Zeit existierten Vorurteile unter den Menschen. Heute für viele unvorstellbar, waren diese jedoch nicht vor allem eine Frage der Hautfarbe, sondern regional motiviert.
„Maurus“ ist eine ursprünglich lateinisches Wort, das die Bewohner der römischen nordwestafrikanischen Provinz Mauretanien bezeichnete. Experten vermuten eine Wortherkunft aus dem griechischen Wort „Moros“ für dunkel oder schwarz. Die dann später so bezeichneten islamischen Mauren beherrschten vom 8. bis ins 15. Jahrhundert Arabien, Nordafrika und weite Teile des heutigen Spanien. Im Schlepptau eine Fülle zu jener Zeit fortschrittlichen Wissens etwa im Bereich der Medizin und Pharmazie.
Vor allem die eurozentristisch geprägte Wissenschaft war ab dem 19. Jahrhundert und im Zuge des Kolonialismus bestrebt, sowohl die Erinnerungsspuren an die eigenständige Geschichte der Afrikaner im historischen Bewusstsein als auch die Existenz afrikanischer Zivilisationen zu löschen, gleichzeitig die universelle Geschichte umzudeuten und neu zu schreiben. Das neue Narrativ des primitven Schwarzen bildete die notwendige Legitimation für die bis heute anhaltende Ausbeutung des Kontinents. So schrieb eine der Autoritäten der europäischen Philosophie, Georg Wilhelm Friedrich Hegel in seinen „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ im Jahr 1837 über „Afrika“: „Afrika ist, soweit die Geschichte zurückgeht, für den Zusammenhang mit der übrigen Welt verschlossen geblieben, es ist das in sich gedrungen bleibende Goldland, das Kinderland, das jenseits des Tages der selbstbewussten Geschichte in die schwarze Farbe der Nacht gehüllt ist […]. Dieser Zustand ist keiner Entwicklung und Bildung fähig und wie wir sie heute sehen, so sind sie immer gewesen […] Dasselbe melden die ältesten Nachrichten über diesen Weltteil; er hat keine Geschichte.“
Darstellung „maurischer Edelleute beim Schachspiel“ (Alfonso X, „Buch der Spiele“,1283)
Hegels Sicht auf „Afrika“ deckt sich jedoch nicht im Geringsten mit der zeitgenössischer Reisender. So bereiste etwa der arabische Gelehrte Ibn-Batutta das sagenumwobene mittelalteriche Reich Mali. Heute ein Synonym für Armut, Chaos und Gewalt, galt Mali im Mittelalter als Zentrum der Bildung und Wissenschaft. Im Jahr 1352 erreichte Ibn Battuta die malische Hauptstadt Timbuktu und zeigte sich, trotz einer Abneigung gegen den König selbst, tief beeindruckt von den Menschen und der Organisation des Reichs.
Darstellung des malischen Königs Mansa Musa im kalatalanischen Weltatlas (1375)
Doch selbst Menschen, die sich ansonsten womöglich zu Recht einer differenzierten und kritischen Weltsicht rühmen, können sich beim Gedanken an „Afrika“ mittlerweile nicht von den reproduzierten Zerrbildern und Stereotypen à la Hegel lösen. Die geschichtliche Wandlung in der Wahrnehmung dunkelhäutiger Afrikaner fasste unter anderem Peter Martins im Jahr 1993 in seinem Standartwerk „Schwarze Teufel, edle Mohren“ zusammen. Er zeigt auf, wie aus dem orientalisch kultivierten „Äthiopier“ […] im Zusammenhang mit dem transatlantischen Sklavenhandel und tiefgreifenden ökonomischen, sozialen und psychologischen Wandlungsprozessen in der deutschen Gesellschaft erstmals ein „primitiver Neger“ wurde.
Ist der Schleier erst einmal gelüftet, öffnet sich ein neuer Blick auf einen Teil der mittelalterlichen Geschichte Afrikas und Europas.
Im Zuge der Ausbreitung des Islam kamen Schwarzafrikaner gemeinsam mit Arabern ab dem Jahr 711 über Nordafrika nach Spanien, das damalige Al-Andalus, und schließlich auch andere Regionen Europas. Nordafrika selbst wurde erst im siebten Jahrhundert islamisiert. Dabei ist hervorzuheben, dass Nordafrika nicht nur islamisiert wurde, sondern der Islam auch afrikanisiert wurde. Darauf legen etwa die Bewohner Malis noch heute großen Wert.
Die Araber vermischten sich im Zuge der islamischen Expansion mit der lokalen Bevölkerung – was sich noch heute in der Region anhand der Bevölkerungsstruktur nachvollziehen lässt. Ein großer Irrglaube liegt dabei in der Annahme begründet, dass schwarze Menschen den Arabern zu jener Zeit vor allem als Sklaven dienten. Es handelte sich vielmehr um eine heterogene Gesellschaft, die die Bewohner der Region nicht nach Hautfarben hierarchisierte.
Die Nürnberger verweisen bei ihrem Versuch, konkretere Informationen zur Verfügung zu stellen, auf einen aufschlussreichen Text des Apothekers und Schriftstellers Hans Richard Schittny. Dieser verweist mit einem Zitat auf die erst im Jahr 1722 erfolgte Benennung der Apotheke in Glatz: „Der Apotheker Hieronymus Reinisch gibt jetzt der alten Glatzer Apotheke auch einen Namen. […] Er nennt sie ,Apotheke zum schwarzen Mohren‘. Er wählt diesen Namen mit bedacht, weiß er doch, dass der Mohr, nach alter Tradition, die Apothekerkunst symbolisiert […] Diese Mohren hatten das beste Wissen um heilkräftige Spezies und Drogen.“
Besonders die Kunst des Mittelalters ist für das unverfälschte Verständnis der damaligen Beziehungen zwischen „schwarz“ und „weiß“ von entscheidender Bedeutung. Von einem wie auch immer gearteten rassistischen Widerwillen der Weißen gegen den Mohren findet sich zum Beispiel auf Bildern von Albrecht Dürer, Matthias Grünewald und Hans Baldung Grien und anderen nicht das geringste.
Dennoch stand „der Mohr“ auch stets für die Gefahr, das Exotische und Fremde. Auf mittelalterlichen Wappen wimmelt es nur so von Mohren. Darunter die Wappen Benedikts des XIV, Friedrich III., der Fugger, Freisings und vieler anderer wie Korsika und Sardinien. Bereits alte spanische Chroniken berichten, dass Peter I. in der Schlacht von Acoraz vier schwarze Könige enthaupten ließ. Entweder er selbst oder sein Nachfolger ließen diese Köpfe demnach als Symbol für die Rückeroberung vier ehemals maurischer Gebiete in ihr Wappenschild aufnehmen.
König Peter I. empfängt nach der gewonnenen Schlacht von Alcorez die vier Mohrenköpfe und das Sankt-Georgs-Kreuz. 16. Jahrhundert.
Worauf auch immer die Ursprünge der sogenannten „Mohren-Apotheken“ zurückzuführen sind, sie sind ein allgegenwärtiger und dennoch unsichtbarer Verweis auf eine Präsenz, gemessen an der heutigen Wahrnehmung, als „schwarz“ zu bezeichnender Menschen in der Geschichte Europas, die wesentlich älter und vielschichtiger war, als es wohl den meisten bewusst ist. Tatsächlich reicht sie bis in die Antike.
Auch im Fall Afrikas lohnt es sich, herkömmliche Nachrichten, Informationen und eigene Denkschablonen zu hinterfragen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Politik, Wirtschaft oder eben Geschichte handelt. Nach den entsprechenden Informationen muss allerdings trotz vielfältiger Verfügbarkeit gesucht werden. Wie so oft, wenn man nicht nur einer Perspektive auf das Weltgeschehen Glauben schenken mag.
von
Günter Schwarz – 19.02.2018