Bildung beginnt bei den Kleinsten
Anstatt mündige und kritische Bürger zu erziehen, fördern Deutschlands Schulen nur Tugenden, die in einer Konsum- und Leistungsgesellschaft benötigt werden. Darunter leiden nicht nur Kreativität und Potenzial der Schüler – auch eine andere und wirklich gebildete Gesellschaft wird dadurch wirksam verhindert.
Nach Mahatma Gandhi soll Bildung eines von „vielen Mitteln zur geistigen Entwicklung sein, aber wir hatten in der Vergangenheit wahre Geistesriesen, die keinerlei Bildung besaßen“. Daran hat sich bis heute, in einer Zeit von Kriegen, Armut, Flüchtlingsdramen, Trump, Putin, Erdoğan und AfD, nichts geändert. Warum auch?
Unser Schulsystem stammt aus der Zeit der Industrialisierung, die in ursprünglichen Form längst überwunden ist. Damals brauchte man mit fachkompetente Arbeiter und Beamte, Rädchen in einer arbeitsteiligen Produktionsgesellschaft und Soldaten. Kurz gesagt, man brauchte folgsame Staatsbürger und loyale Untertanen zum Erledigen von Aufgaben streng nach Gesetz und Vorschrift. Schulen profitierten von Kasernen, und die Benotung wurde zum Leistungsvergleich unter den Kindern etwa um 1850 im strammen Preußen mit zunächst drei, dann vier (sehr gut, gut, genügend, ungenügend) und später sechs Notenstufen eingeführt.
Vielleicht ist es gar nicht so weit hergeholt, bei den mit viel zu schweren Rucksäcken und Schulranzen bepackten Knirpsen, die im täglichen Morgengrauen brav zu den Schulhöfen marschieren, auch heute noch eine Form von preußischem Gehorsam zu erkennen. Und mögen Rohrstock und militärischer Drill aus den Klassenzimmern verschwunden und Lerninhalte heute andere sein, so beherrschen normierte Standards die Klassenzimmer mehr denn je. Schließlich soll der gewöhnliche Kopf ja auch künftig immer schön mit der herrschenden Meinung und der herrschenden Mode konform sein, wie schon der deutsche Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg irgendwann im 18. Jahrhundert anmerkte.
In unserem mit Prüfungen und Examen sorientierten Bildungssystem geht es nach wie vor primär um das Erfüllen von Vorgaben und die Anpassung an das, was Durchschnitt ist. Unterschiedliche Meinungen und das Hinterfragen vermeintlicher Fakten lenken ab und sind bei der Wiedergabe von Standardantworten nicht gefragt und auch nicht gewollt.
Nach Albert Einstein waren (vielmehr sind) ohnehin nur wenige imstande, „von den Vorurteilen der Umgebung abweichende Meinungen gelassen auszusprechen; die meisten sind sogar unfähig, überhaupt zu solchen Meinungen zu gelangen“. Denn Kinder werden in den Schulen noch immer zu möglichst einheitlichen Objekten geformt und gleichgemacht, was aber nicht die Aufgabe der Schule sein sollte. Eine gesellschaftliche Veränderung wird so natürlich im Keim erstickt.
„Immer weigere ich mich, irgendetwas deswegen für wahr zu halten, weil Sachverständige es lehren, oder auch, weil alle es annehmen“, sagte Albert Einstein.
Der Rohrstock, die physische Gewalt, ist einem ständig wachsenden Leistungsdruck, der psychischen Gewalt, gewichen, um den Kindern die von Vernunft befreite Ökonomisierung jedes Lebensbereiches – eine der größten Fehlentwicklungen – möglichst schon vom ersten Schultag an schleichend einzupflanzen.
Bildung ist von klein auf Wettbewerb, das frühestmögliche Vorbereiten auf die angeblich Beste aller Welten, die Konkurrenzwelt – daran jedenfalls glauben die erfolgreich Geformten beharrlich. Kinder sind da nur Teilchen eines wirtschaftlichen Verwertungsprozesses.
Bildung ist heute eine Konditionierung auf den globalen Kapitalismus, auf die totale Marktgesellschaft, auf das endlose Konsumieren und Herstellen irgendwelcher Produkte, mögen sie auch noch so tödlich wie Waffen, so giftig wie Kriegsspielzeug oder Monsanto-Chemie, so überflüssig wie das dritte Smartphone und der fünfte Fernseher, so belanglos wie das zigste Dschungelcamp oder so gehirn(z)ersetzend wie Alexa sein. Das Leben wird dadurch jedenfalls nicht nennenswert besser.
Aber um darauf zu kommen und entsprechende Schlüsse zu ziehen, bräuchte man allerdings wohl auch ein anderes Bildungssystem, das den Neigungen und Interessen der Kinder entgegenkommt und damit deren Kreativität fördert. Damit kann aus dem deutschen Volk auch wieder das Volk der Dichter und Denker werden – und anhand der Kommentare in puncto Rechtschreibung, Ortographie, Stil und Inhalt in den Sozialen Netzwerken das Volk der „Facebook-Blödlinge“ ablösen, die den Analphabetismus frönen und noch stolz auf ihre „kulturellen Beiträge“ sind .
von
Günter Schwarz – 25.03.2018