Puigdemont-Krise ist juristisch kaum zu lösen
(Schleswig / Neumünster) – Der in Neumünster in Auslieferungshaft sitzende frühere katalanische Regierungschef Carles Puigdemont kommt unter Auflagen frei. Für die Haftverschonung muss er eine Kaution von 75.000 Euro hinterlegen, entschied das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht am Donnerstagabend. Eine Auslieferung Puigdemonts wegen des Vorwurfs der Rebellion, wie sie Spanien verlangt, sei unzulässig. Etwas anderes gelte für den Vorwurf der Veruntreuung öffentlicher Gelder. Die spanische Regierung erklärte, sie respektiere die Entscheidung. Puigdemont selbst jubilierte: „Vielen Dank an alle! Wir sehen uns morgen!“
Zu den Auflagen der Haftverschonung gehört nach Angaben des Oberlandesgerichts unter anderem die Zahlung einer Kaution von 75.000 Euro. Puigdemont muss sich außerdem einmal wöchentlich bei der Polizei melden, darf Deutschland nicht ohne Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig verlassen und muss dem Gericht und dem Generalstaatsanwalt jederzeit zu Befragung zur Verfügung stehen. Jeden Wechsel seines Aufenthaltsortes muss er zudem unverzüglich bekanntgeben.
Dennoch erhält die gestrige Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig in den Kreisen der katalanischen Separatisten Beifall. Das ist nachvollziehbar, immerhin kann man es als wichtigen Etappensieg für Carles Puigdemont werten. Schließlich kann er jetzt – wenn überhaupt, denn auch darüber ist noch nicht abschließend entschieden – nur wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder ausgeliefert werden.
Sollte dieser Vorwurf beweisbar sein, müsste Puigdemont immer noch mit einer Gefängnisstrafe von bis zu acht Jahren rechnen. Für eine Rebellion drohen den Angeklagten bis zu 30 Jahre. Und um die Rebellion geht es im Schleswiger Urteil. Der Richterspruch bedeutet nicht, dass es keine Rebellion gegeben habe in Katalonien. Er hält zunächst nur fest, dass das deutsche Recht diesen Straftatbestand nicht kennt und man Puigdemont wegen dieses Vorwurfs also nicht ausliefern dürfe. Das kompliziert die Situation in Spanien.
Mittlerweile sitzen mehrere katalanische Politiker in Untersuchungshaft und sollen wegen Rebellion angeklagt werden. Puigdemont aber darf deswegen nicht mehr angeklagt werden. Es würden also Politiker und Politikerinnen, die alle am gleichen Projekt beteiligt waren, ungleich behandelt. Dieses Problem wird juristisch schwer zu lösen sein.
Das deutsche Gericht suchte im eigenen Gesetzbuch nach einem vergleichbaren Tatbestand und fand den Hochverrat. Für Hochverrat aber ist Gewalt oder Gewaltandrohung zwingend. Beides, fanden die Richter, sei im Fall Puigdemonts nicht gegeben. Noch ein Stolperstein für Spaniens Richter also, denn die sind der Ansicht, allein schon das Risiko, dass es bei der Unabhängigkeitsabstimmung zu Gewalt hätte kommen können, sei belastend genug.
Die Gewalt am 01. Oktober 2017 ist aber nicht von den Bürgerinnen und Bürgern ausgegangen, die abstimmen wollten, sondern von der Polizei. Das deutsche Urteil rückt diesen Umstand wieder in den Vordergrund, ohne ihn explizit zu erwähnen. Das ist unangenehm für die Richter in Spanien, aber auch, und vielleicht noch mehr, für die Regierung in Madrid.
Ministerpräsident Rajoy hat die katalanische Krise von Beginn an als juristisches und nicht als politisches Problem betrachtet und den Fall darum an die Richter delegiert. Heute müsste er erkennen, dass es aus dieser Krise nur einen politischen Ausweg gibt. Aber der politische Weg ist viel komplizierter, seit die katalanischen Separatisten die Dezemberwahlen gewonnen haben und Rajoys Konservative förmlich vom Feld gewischt wurden.
Rajoy regiert in Madrid in der Minderheit, er ist machtlos. Und einfallslos. Es ist nicht mehr zu übersehen, dass er politisch schwer angeschlagen ist und auch in den eigenen Reihen angezweifelt wird. Aber auch ohne Rajoy ist der Weg für einen politischen Weg nicht einfach frei.
Die aufsteigende politische Macht ist die wirtschaftsliberale Partei Ciudadanos, die erst seit drei Jahren auf der nationalen Bühne ist. Gegründet wurde sie vor zwölf Jahren in Katalonien als politische Abwehr gegen die Separatisten. Will Rajoy politisch überleben – so er diese Option überhaupt noch hat – braucht er just diese Partei. Unterliegt er den Liberalen aber, kommen sie an die Macht. Beide Varianten verstellen den Weg zu einer Normalisierung in Katalonien.
Fazit: Carles Puigdemont hat einen Etappensieg errungen, aber auf die Entwicklung in Spanien hat er kaum Einfluss. Katalonien bleibt ein großer Konflikt, der die nationale Politik Spaniens heute weitgehend blockiert, und damit bleibt Krise ein Alltags-Wort.
von
Günter Schwarz – 06.04 .2018