(Stockholm) – Ein starker Anstieg an Gewalttaten sorgt derzeit in Schweden für große Besorgnis. Die Anzahl der Explosionen in Schweden, die durch Handgranaten hervorgerufen wurden, hat in den letzten Jahren zugenommen. Laut BBC von Mittwoch waren es 2014 noch weniger als fünf Gewalttaten durch Handgranaten gewesen, im Jahr 2017 aber mindestens 20. Weitere 39 Granaten seien im selben Jahr von der Polizei konfisziert worden. Angesichts der Wahl 2018 rückt das Thema verstärkt in den Fokus der Politik.

Reine Bergland von der Stockholmer Polizei sagte gegenüber der BBC, dass Handgranaten relativ einfach zu kaufen seien. Kriminelle Banden erhielten diese auf dem Schwarzmarkt für ein paar hundert schwedische Kronen – eine schwedische Krone ist rund 10 Cent Wert. „Manchmal bekommen sie beim Waffenkauf die Granaten einfach dazu. Man könnte sagen, die Verkäufer geben einfach ein paar Handgranaten als Zugabe drauf“, so Bergland.

Fast immer hätten die Verbrechen mit Bandenkriminalität zu tun. Genauso willkürlich wie die Beschaffung von Handgranaten vonstattengehe, scheint auch ihr Einsatz zu sein. Wie die „New York Times“ („NYT“) kürzlich berichtete, kam es im Januar 2018 zu einem tödlichen Zwischenfall, ein 62-Jähriger starb.

Daniel Cuevas Zuniga, Mitarbeiter eines Altersheims, sei eines Abends im südlichen Stockholm heimwärts geradelt, als er angehalten habe, da ein kleines, ovales Objekt mitten auf dem Radweg gelegen sei. Zuniga sei von seinem Fahrrad gestiegen und habe das Objekt aufgehoben. Dabei habe es sich aber um eine Handgranate gehandelt, die explodierte und den Mann tötete. Noch heute könne man dort Granatsplitter in Laternenmasten sehen.

Abgesehen von Attentaten mit Handgranaten würden auch Schießereien statistisch gesehen in Schweden häufiger, schreibt die BBC. Im Jahr 2017 habe es 306 Verbrechen durch das Abfeuern einer Schusswaffe gegeben, 41 Menschen seien dadurch ums Leben gekommen. 2011 seien es 17 Tote gewesen. Die steigende Gewalt auf den Straßen Stockholms habe zudem manche Gegenden zu „No-Go-Areas“ gemacht, sagte Henrik Johansson, früherer Leiter der Gewerkschaft für Sanitäter, zur BBC – wenn diese auch nicht offiziell so bezeichnet werden dürften. Immerhin habe die Polizei ganze 60 „gefährdete Gegenden“ als solche ausgewiesen. Dennoch ist die Mordrate in Schweden im internationalen Vergleich niedrig.

Die Handgranaten würden aus nicht genutzten Vorräten stammen, die irgendwann nach den 1990ern ihren Weg aus dem heutigen Ex-Jugoslawien nach Schweden gefunden hätten. Heute komme es damit nicht nur zu schwerwiegenden Unfällen und anderen Gewalttaten, das Thema Handgranaten würde zunehmend auch zum hitzigen Thema in Politdebatten vor der Wahl zum schwedischen Reichstag im September dieses Jahres.

Den Anstoß dafür hatte etwa US-Präsident Donald Trump im Februar 2017 gelegt, als er das Problem zunehmender Gewalttaten in Schweden an die steigende Zahl von Migranten geknüpft hatte – ohne das mit Fakten untermauern zu können. „Schweden. Sie haben eine große Anzahl aufgenommen. Sie haben Probleme, die sie niemals für möglich gehalten hätten“, sagte Trump. In der Tat hatte Schweden die höchste Anzahl an Asylwerbern pro Kopf im Jahr 2015 aufgenommen. Die meisten davon waren Kriegsflüchtlinge oder Verfolgte aus dem Irak, Syrien, Afghanistan und Eritrea.

Obwohl es keinen unmittelbar erkennbaren Zusammenhang mit dem Anstieg der Gewalttaten gebe, gebe es doch innerhalb der letzten 20 Jahre Versäumnisse, Migranten ausreichend zu integrieren, so die BBC. Besonders anschaulich würde das am Beispiel eines gewalttätigen Aufstands 2013 im Stockholmer Stadtbezirk Rinkeby-Kista. Die meisten der Bewohner dort sind Migranten erster und zweiter Generation. Die Unruhen entstanden nach tödlichen Schüssen durch die Polizei auf einen 69-jährigen Mann in seinem Apartment. Der Mann hatte sich nach Darstellung der Polizei mit einer Machete bewaffnet und mit seiner Frau eingeschlossen. Kurz zuvor seien er und eine Bande von Jugendlichen aneinandergeraten.

Vor allem die rechte Partei der Schwedendemokraten mache gegen Bezirke wie Rinkeby-Kista mobil, was wiederum viele Bewohner ärgere, so die BBC. Einige von ihnen hätten deshalb die Initiative ergriffen und einen Verein zur Gewaltprävention in ihrem Bezirk gegründet. Zwar gestehe sich der Verein ein, dass Gewaltverbrechen zunehmen würden, jedoch sei auch die Regierung verantwortlich, da sie es versäumt habe, ausreichend in die Nachbarschaften zu investieren. Durch die Abschottung und Ungleichbehandlung seien Parallelgesellschaften entstanden.

Die rot-grüne Regierung unter dem Sozialdemokraten Stefan Löfven weist alle Anschuldigungen der Opposition zurück. Es seien nicht die Immigranten, die den Anstieg an Gewalttaten verursachen. „Die meisten Menschen, die diese Probleme machen, sind in Schweden geboren“, so der sozialdemokratische Justizminister Morgan Johannson. „Es geht nicht um Migration, sondern um Integration und um soziale Inklusion.“

Tatsächlich kommt Bandenkriminalität in Schweden schon seit Jahrzehnten unabhängig von der Abstammung vor. Bandenkriege entwickelten sich in den 1990ern zwischen den Motorradclubs Hells Angels und Bandidos, die aus den USA stammen und 1993 im südschwedischen Helsingborg ein „Europazentrum“ gründeten. Die Hells Angels versuchten, die Bandidos unterzuordnen. Es folgten Angriffe mit Panzerfäusten, Maschinenpistolen und Handgranaten. Bei Straßenkämpfen kamen auch Passanten zu Schaden. Seither verschärfte die Polizei den Druck auf die beiden Rockerbanden.

Die Regierung besteht darauf, sie behandle Bandenkriminalität seither sehr streng und gehe gegen deren Ursprung vor. Im Kampf gegen die organisierte Kriminalität erwog Löfven Anfang des Jahres sogar den Einsatz der Armee. „Es wäre nicht meine erste Wahl, das Militär einzusetzen. Aber ich will alles Nötige tun, um der schweren organisierten Kriminalität den Garaus zu machen“, sagte der Sozialdemokrat am Mittwoch der Nachrichtenagentur TT.

Laut Opposition sind die Schweden zunehmend besorgt. Es könnte für die linken Parteien schwieriger werden, die Wähler davon zu überzeugen, dass die hohe Migrantenzahl nicht in Zukunft für einen Anstieg an sozialen Problemen sorgen könnte, analysierte die BBC. Ein Thema, das die Schwedendemokraten ähnlich wie andere rechtspopulistische Parteien in Europa längst für sich entdeckt hätten. Die Sozialdemokraten würden jedoch darauf hoffen, dass sich die Wähler auf das starke Wirtschaftswachstum und das darin steckende Potenzial konzentrieren, so Johannson.

von

Günter Schwarz – 21.04 .2018