(Moskau) – Russlands Präsident Wladimir Putin hat am Donnerstag in seiner jährlichen TV-Sendung um Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung des Landes geworben. Er verurteilte in der vierstündigen Sendung die Sanktionen des Westens gegen Russland. Der Kreml erfährt aus der Sendung „Direkter Draht“ besser als aus Umfragen, wo beim Volk die Probleme liegen.

Jedes Jahr das gleiche Ritual: Russlands Präsident Vladimir Putin inszeniert sich als „guter Zar“ in einer Reality-Show im Fernsehen. Und viele Russen setzen ihre letzte Hoffnung auf diese Fragestunde namens „Direkter Draht“.

Spannung kam in die Sendung, als es um die Ukraine ging. Putin drohte dem Nachbarland falls es während der Fussball-WM Stellungen der von Russland unterstützten Separatisten in der Ost-Ukraine angreifen sollte. „Ich hoffe, dass es nicht zu solchen Provokationen kommt“, sagte Putin. „Wenn das passiert, wird es sehr schwere Folgen für die ganze ukrainische Staatlichkeit haben.“

In mehr als 18 Jahren an der Macht in Russland hat Putin die Fragestunde „Direkter Draht“ 16 Mal abgehalten. Auch wenn die Sendung weitgehend inszeniert ist, hat es sich doch eingebürgert, dass viele Russen Putin als letzte Instanz anrufen, wenn Arbeitgeber, Behörden oder Gerichte ihnen ihr Recht verweigern.

Der Chef im Kreml als Kummerkasten der Nation. „Vladimir Wladimirowitsch, helfen Sie!“, baten Frauen in der abgelegenen sibirischen Region Altai, die eine Schließung ihrer Dorfschule befürchten.

Viele Russen hegten die Vorstellung, dass nicht der „gute Zar,“ sondern sein Umfeld, die bösen Bojaren (Adeligen), schuld an den Missständen sei, schrieb die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“. Technische Neuerung der Reality-Show in diesem Jahr war denn auch, dass Putin Kritik an die Bojaren weiterleitete. Minister und Gouverneure harrten vor der Kamera am Schreibtisch für den Fall aus, dass sie aufgerufen werden.

So beklagte sich der Vater einer kinderreichen Familie aus dem Gebiet Iwanowo, dass ein Hypothekarkredit für ihn unerschwinglich sei. Darauf musste Gouverneur Stanislaw Woskressenski öffentlich versprechen: „Wir werden sehen, wie wir solchen Familien helfen.“

Kaum etwas haben die Millionen russischen Autofahrer in den vergangenen Wochen so verärgert wie die Preissteigerung beim Benzin. Also wurde ein Lastwagen-Fahrer eingeblendet, der am Steuer fragte: „Sagen Sie bitte, wie lange die Benzinpreise noch steigen werden?“ 45 Rubel (1,02 Euro) koste ein Liter Diesel. „Im März hat das ganze Land Sie gewählt, und Sie können die Benzinpreise nicht stoppen?“

Die Regierung habe schon Maßnahmen ergriffen, sagte Putin. Rasch mussten Energieminister Alexander Nowak und Vize-Regierungschef Dmitri Kosak Auskunft geben. Die Einigung besteht bislang darin, dass die Erdöl-Förderer die Preise nicht mehr so stark erhöhen und der Staat dafür seine Steuern senkt und auf Einnahmen verzichtet. So wird der Volkszorn abgebogen.

Der Kreml erfährt aus dem „Direkten Draht“ besser als aus Umfragen, wie das Volk tickt. Doch es gibt auch Kritik an der „Handsteuerung“ von Problemen durch Putin. Die Anrufe an den Präsidenten wären nicht nötig, wenn andere Teile des Staatsapparates unter Putins Herrschaft nicht so verkümmert wären, meint die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“.

von

Günter Schwarz – 09.06.2018