(Rom) – In einem aufklappbaren Lastwagen spielen Musiker Opern in italienischen Problemvierteln. Die italienischen Politiker erhoffen sich viel vom „Opernhaus auf Rädern“.

Die Idee ist gut und sicher nicht nur in Italien realisierbar: Man nehme einen großen Lastwagen, baut ihn um, so dass eine der Längsseiten aufgeklappt werden kann. Dort singen und spielen Musiker Kurzversionen der Opern von Mozart, Rossini und Verdi. Entstanden ist diese Idee vor zwei Jahren in Rom.


Opernhaus auf vier Rädern: In Rom wurde dieses Jahr die Oper „Rigoletto“ von Verdi gezeigt.
Mitarbeiter der italienischen Staatsoper wollten populäre Opern in Quartiere am Stadtrand zu Menschen bringen, die nicht unbedingt zu Besuchern von Opernhäuser zählen. Ihr Projekt nannten sie „OperaCamion“ (Opernlastwagen). Die Aufführungen, die zumeist in „kulturfernen“ und problematischen Stadtteilen gegeben werden, sind gratis. Diese Initiative hatte in Rom derart großen Erfolg, dass nun auch das Opernhaus Teatro Massimo in Palermo einen „OperaCamion“ auf die Beine stellte.

Auch in Palermo finden die Aufführungen in sozialen Problemvierteln wie ZEN und Brancaccio statt. Orte, an denen die Cosa Nostra nach wie vor den Ton angibt, in denen Palermitaner mit Niedrigeinkommen leben und in denen die Jugendarbeitslosigkeit Werte von rund 55 Prozent erreicht.

Palermos linker Bürgermeister Leoluca Orlando ist davon überzeugt, dass Kulturinitiativen wie „OperaCamion“ dafür sorgen, dass sich die Bewohner dieser Problemviertel weniger ausgegrenzt fühlen und ihnen Alternativen zu Armut, Kriminalität und Mafiastrukturen geboten werden.

Kritiker von Bürgermeister Orlando bezeichnen „OperaCamion“ als kulturpolitische Augenwischerei. Denn anstatt dauerhafte Kulturprojekte in Problemvierteln zu schaffen, werden diese Einmalveranstaltungen angeboten, die zwar einen netten Abend garantieren, aber auch nicht mehr.

Neapel hingegen zeigt, wie man ziemlich erfolgreich nachhaltige Kulturpolitik betreiben kann. Auch Neapel ist eine süditalienische Großstadt mit organisierter Kriminalität, sozialen Problemen und gefährlichen Stadtvierteln wie Scampia, eine der übelsten Mafiahochburgen. Zu trauriger Berühmtheit gelangte Scampia durch Roberto Savianos Reportagen und den Film „Gomorrha“.


Das Viertel Scampia in Neapel: Viel Armut, viel Kriminalität und dennoch viel Kultur.
In Scampia entstanden, ohne öffentliche Hilfen und von Bewohnern organisiert, Verlage, Theatergruppen und eine Filmschule. In diesen Projekten arbeiten mittlerweile mehrere hundert junge Menschen, die beweisen wollen, dass ihr Viertel nicht nur Drogen, Gewalt und Kriminalität bedeutet. Ihre Projekte finden auch ausserhalb Neapels Beachtung. Inzwischen kommen auswärtige Regisseure nach Scampia, um dort Theaterstücke auf die Bühne zu bringen.

Auch in anderen Quartieren Neapels entstanden in den vergangenen Jahren Kulturprojekte von Dauer. Sie wurden oft von sozial und kulturell engagierten katholischen Geistlichen in die Wege geleitet. Dazu gehört ein Orchester im sozial benachteiligten Innenstadtviertel Sanità. Rund Tausend Minderjährige aus sozial benachteiligten Familien, in denen beide Elternteile arbeitslos sind, erlernen hier gratis ein Instrument. Neapolitanische Projekte dieser Art erhalten inzwischen auch finanzielle Unterstützung durch den Staat.

Erst langsam entsteht in Italien das Bewusstsein, dass Privatinitiativen das Fehlen öffentlich finanzierter und organisierter Kulturinitiativen wettmachen müssen. Seit einiger Zeit finanzieren deshalb auch immer mehr Banken und private Stiftungen kulturpolitische Projekte in sozialpolitischen Brennpunkten. Das gilt vor allem für Nord- und Süditalien. Die Insel Sizilien ist in diesem Punkt leider immer noch kulturpolitisches Entwicklungsland.

von

Günter Schwarz – 20.07.2018