Wenn man eine Kulturkolumne schreiben soll, setzt das voraus, dass man sich mit „Kultur“ auch verbunden fühlt. Um sich mit etwas zu verbinden, sollte man dieses Ding oder diesen Sachverhalt zunächst definieren. Bei „Kultur“ ist das nicht immer ganz einfach, wie auch aktuelle Diskussionen um „Kultur & Werte“ immer wieder veranschaulichen. Gern beruft man sich auf „Unsere Kultur“, ohne diese jedoch zunächst einmal genau zu benennen.

Das mag daran liegen, dass es einen singulären Kulturbegriff gar nicht gibt. Klar gibt es Kultur. Es gibt auch „unsere Kultur“.

Es ist allerdings vollkommen unmöglich „unsere Kultur“ vollkommen Singular auf eine Nadelspitze zu setzen, ohne dabei andere Kulturen zu beachten. Kultur ist abhängig von Zeit und Ort ihres Entstehens. Die spanische Inquisition gehört also ebenso zu unseren kulturellen Errungenschaften wie Michelangelos Deckenfresko in der sixtinischen Kapelle. Mit einem Fresko mag man sich nun eher verbunden fühlen, als mit mordenden marodierenden religiösen Fanatikern. Trotzdem enstpringen Beide derselben kulturellen Zeitlinie. Stellen sie sich „unsere Kultur“ wie ein Baum vor. Wir haben einen Stamm und an dem Baum viele Äste und Verzweigungen, die alle Blätter oder Früchte tragen. Schlüge man nun einen dieser Äste ab, liefe man Gefahr, dass auch ein anderer Ast abstirbt – oder im schlimmsten Fall, der ganze Baum eingeht.

Auch wenn unser Baum gesund wächst, gedeiht und viele Früchte trägt, bedeutet es nicht, dass auch alle seiner Früchte gelungen oder genießbar sind.

Wir kamen auf diesen Gedanken, nachdem wir uns „unsere Kultur“ einmal genauer angesehen haben. Wir können uns auf einen kräftigen Stamm berufen und eine prächtig verzweigte Baumkrone. Bei vielen Trieben sind wir jedoch nicht sicher, ob es sich dabei um süße Früchte handelt. Kultur umgibt uns. Kultur definiert das, was wir tun und sind. Unsere Schrankwände gehören ebenso dazu wie unser jährlicher Pauschalurlaub oder unser unreflektiertes Gezanke in sozialen Medien.

Nun mag jeder selbst überlegen, was von dem was wir sind und tun tatsächlich etwas an dem Baum „unserer Kultur“ zu suchen hat. Zumindest ist das der Fall, wenn sich jeder verbogene Ast darauf beruft, ja an einem großen starken Baum zu wachsen. Das mag zwar so sein, doch es macht den einzelnen Ast nicht wohlgeformter oder gesünder. Ein Apfel wird nicht dadurch schmackhafter, wenn er sich darauf beruft an demselben Baum wie Michelangelo oder Stephen Hawking gewachsen zu sein. Es ist dann nämlich auch derselbe Baum, der die Inquisition und kolonialen Sklavenhandel hervorgebracht hat.

Wir finden, dass die Debatte um unsere Kultur in der Tat sehr wichtig ist. Dabei jedoch ganz insbesondere inklusive einer sehr sehr kritischen Betrachtung dessen, was WIR zu unserer Kultur beitragen – denn genau DAS definiert „unsere Kultur“. Unsere Kultur ist ein Spiegelbild dessen, was wir selbst dafür tun.

Wenn wir uns nun in unserer Welt umschauen, fällt es sehr sehr schwer, sich so dermaßen um unserer Kultur zu freuen, dass wir hier erbauliche Kolumnen schreiben.