Was geschah am 22. Dezember 1978 in unserem Dänemark?
Die Bildungsministerin Ritt Bjerregaard zieht sich am 22. Dezember 1978 aus ihrem Amt zurück, nachdem in der Öffentlichkeit bekannt wurde, dass sie sich während einer UNESCO-Konferenz in Paris in einer Luxussuite im Hotel Ritz auf Staatskosten eingemietet hat.
Die am 19. Mai 1941 in København geborene und wegen vieler Affären oft umstrittene Ritt Bjerregaard ist eine dänische Politikerin der Socialdemokraterne. Sie war mehrfach Ministerin, vier Jahre lang EU-Kommissarin und von 2006 bis zum 01. Januar 2010 Oberbürgermeisterin der Hauptstadt København.
Ritt Bjerregaard wuchs in Københavns Arbeiterviertel Vesterbro auf. Der Vater war Zimmerer, die Mutter Buchhalterin. Nach dem Abitur 1958 studierte sie an einer pädagogischen Hochschule. Nach dem Staatsexamen für das Lehramt hat sie einige Jahre als Lehrerin gearbeitet. Sie war früh fachpolitisch aktiv. Sie heiratete 1966 den Historiker Søren Mørch und lebt seitdem in Odense. In ihrer Freizeit betätigt sie sich im privaten Ökogarten, wo sie besonders Apfel-Obstbau betreibt. Nebenbei schreibt sie autobiografisch bezogene Erlebnis- und Sachliteratur und hat mehrere eigene Bücher veröffentlicht.
Ihre politische Karriere begann Ritt Bjerrgaards 1970 als Mitgliedschaft im Stadtrat von Odense an.
Dem dänischen Parlamet Folketing gehörte Bjerregaard war Mitglied vom 21. September 1971 bis 22. Januar 1995 an und erneut ab 20. November 2001.
Sie war dänische Unterrichtsministerin vom 27. September bis 19. Dezember 1973 und erneut vom 13. Februar 1975 bis 22. Dezember 1978 sowie Sozialministerin vom 26. Oktober 1979 bis 30. Dezember 1981 und Ernährungsministerin vom 23. Februar 2000 bis 27. November 2001.
In der Santer-Kommission war Ritt Bjerregaard EU-Kommissarin für Umwelt und Reaktorsicherheit von 1995 bis 1999.
Bjerregaard gewann die Direktwahl zum Oberbürgermeisteramt in der dänischen Hauptstadt Kopenhagen am 16. November 2005 und trat am 01. Januar 2006 ihr Amt an. Bei den Kommunalwahlen im November 2009 trat sie dann nicht zu Wiederwahl an.
Ritt Bjerregaard hat sich im Laufe der Jahre in ihrer politischen Karriere durch einige Affären mehrere Male ins Schlaglicht der Medien gebracht, die Politikern insgesamt nicht zuträglich waren und in der dänischen Öffentlichkeit für einiges Aufsehen sorgten:
1977 als Ministerin ließ sie eine Fähre auf dem Storebælt (Großen Belt) zurückrufen, weil sie zu spät zur Abfahrt gekommen war.
1978, während einer UNESCO-Konferenz in Paris, quartierte sie sich in einer Suite im Luxus-Hotel Ritz ein, die den dänischen Steuerzahlern rund 60.000 Kronen (damals 15.000 DM) kostete. Diese sogenannte „Ritz-Affäre“ hat sie den Posten als Unterrichtsministerin gekostet, und sie musste am 22. Dezember 1978 von ihrem Amt zurücktreten.
1994 kam heraus, dass sie eine große Wohnung in København unterhielt, während sie zur selben Zeit eine steuerfreie Zulage für außerhalb Københavns lebende Folketing-Parlamentarier erhielt.
1999 schrieb sie ein Buch über ihre Zeit als EU-Kommissarin, worin derart derbe Charakteristiken von den Kommissionskollegen und -kolleginnen vorkamen, dass das Buch zurückgerufen werdenmusste. Mit oder ohne ihr Wissen wurde das Buch in der ursprünglichen Fassung und (angeblich) ohne ihre Zustimmung von Københavns angesehener Tageszeitung „Politiken“ als eine Beilage zur Zeitung gedruckt.
2005, als neugewählte Oberbürgermeisterin von København ließ sie neue Büromöbel für verschwenderische 1 Mio. Kronen (130.000 Euro) für das eigene Büro einkaufen.
Betont werden muss allerdings, dass keine Affären von Ritt Bjerregaard zu polizeilichen Untersuchungen oder gar Strafverfahren geführt haben. Ritt Bjerregaard hat immer die Auffassung derart überzeugend zum Ausdruck gebracht, dass die Vorwürfe gegen sie im Großen und Ganzen unberechtigt gewesen seien.
Es wird immer wieder behauptet, dass Ritt Bjerregaard in den neunzehnhundertsiebziger Jahren in Verbindung mit der Durchführung eines neuen Volksschulgesetzes gesagt haben soll: „was nicht alle lernen können, soll keiner lernen“. Sie bestreitet diese Äußerung und ihre Authentizität wurde auch nie mit Sicherheit nachgewiesen. Dass sie sich für eine egalitäre Schulpolitik, die vermeintliche Gleichheit erzielt und i. d. R das Anspruchsniveau senkt, starkgemacht hat, kann aber nur schlecht bestritten werden.
Als sie für den Posten als Oberbürgermeisterin in København kandidierte, soll sie versprochen haben, innerhalb von 5 Jahren 5.000 Wohnungen zu nicht mehr als 5.000 Kronen monatlicher Miete bauen zu lassen. Als sie im November 2009 aus dem Amt schied, waren jedoch nur 14 von diesen sogenannten gemeinnützigen Wohnungen gebaut worden. Ritt Bjerregaard bestreitet vehement, dass es sich um ein Versprechen gehandelt habe, lediglich hat sie nach ihrer Ansicht eine Zukunftsperspektive zum Ausdruck gebracht.
von
Günter Schwarz – 22.12.2018