Wegen „Brexit-Wirrwarr“ droht Jobcenter Familie mit Leistungsentzug
(Hamburg / Wedel) – Wie und wann es zum Brexit kommt, ist noch offen. Im Falle eines harten Brexits könnte es für im Ausland lebende Briten jedenfalls kompliziert werden. Einen „Vorgeschmack“ der Folgen bekamen bereits Leistungsbezieher mit britischem Pass von Hamburgs Jobcentern zu spüren. Das Chaos herrscht schon jetzt in den Hamburger Jobcentern, denn sie haben bereits Schreiben versandt, nach denen Leistungen mit Verweis auf den Brexit verweigert werden.
Die Familiensituation von der in Hamburg lebenden Gloria ist komplex. „Ich komme aus Nigeria. Meine Kinder sind hier in Deutschland geboren, sie sind wegen des Vaters britische Staatsbürger,“ erklärte die 38-Jährige, die anonym bleiben möchte. Wegen des ursprünglich für Ende des Monats geplanten Brexit bekam sie bereits Ärger mit dem Jobcenter.
Die Arbeitslosenselbsthilfe in Wedel bei Hamburg hat ihr jedoch helfen können.
Ende Februar flatterte bei Gloria ein Brief vom Hamburger Jobcenter ins Haus. Die Leistungen, auf die Gloria und ihre drei Kinder mit britischer Staatsbürgerschaft angewiesen sind, sollten zum ursprünglich geplanten EU-Austrittstermin eingestellt werden. In dem Schreiben heißt es, es sei derzeit davon auszugehen, dass ein harter Brexit, also ohne Austrittsabkommen, erfolgen würde. Das bedeute, dass ab dem 30. März 2019 britische Staatsangehörige und deren Angehörige wie Drittstaatler zu behandeln seien und demnach die Leistungsberechtigungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch grundsätzlich nur mit entsprechendem Aufenthaltstitel bestehen würden.
Gloria machte sich natürlich Sorgen, denn die juristische Begründung des Jobcenters schien ähnlich kompliziert wie der Brexit selbst zu sein. Ein Bekannter von ihr schaltete Hans-Günther Werner von der Arbeitslosenselbsthilfe in Wedel ein. Der 71-jährige Pastor im Ruhestand wollte im Paragrafen-Dschungel helfen und legte Widerspruch gegen die Brexit-Entscheidung des Jobcenters ein. „Ich fand das ein starkes Stück, dass überhaupt solche Schreiben verschickt werden, ohne ein Angebot, wie man das Problem jetzt lösen könnte, auch vorübergehend“, begründete Werner sein Einschreiten.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg sind momentan etwa 3.000 Briten in Deutschland Leistungsempfänger. Für sie solle alles beim Alten bleiben, teilte ein Sprecher mit, bis ein endgültiges Ergebnis der Brexit-Verhandlungen vorliegt.
Im Zuge des Brexit-Wirrwarrs dürfte diese Vereinbarung im Hamburger Jobcenter kurz verloren gegangen sein. Auf Nachfrage ruderte die Behörde mit dem angedrohten Leistungsentzug zurück und entschuldigte sich mit dem Hinweis, es läge ein Irrtum vor. In einer Mail der Pressesprecherin heißt es: „Dieser Fehler ist nach meinem Wissen in drei unserer insgesamt 18 Jobcenter-Standorten vorgekommen und betrifft sechs Personen. Bei Bekanntwerden des Irrtums haben wir selbstverständlich umgehend zu allen sechs Betroffenen Kontakt aufgenommen. Die Kolleginnen und Kollegen haben sich im Gespräch noch einmal persönlich entschuldigt und die Leistungsfortzahlung zugesichert.“
Die Entschuldigung nahmen Gloria und ihr Helfer Werner an. Es seien wohl ein oder mehrere Sachbearbeiter übers Ziel hinausgeschossen. „Ich freue mich über jeden Fehler, den gerade Großverwaltungen und andere machen, denn dann hab ich auch mal wieder einen frei“, sagte der 71-Jährige, der mit dem Brexit aber lieber nichts mehr zu tun haben möchte: „Ich selber gehe davon aus, dass die Vernunft siegt und die Briten das hinkriegen, dass der Brexit gar nicht stattfindet.“
von
Günter Schwarz – 21.03.2019